
Wissenschaftsjournalistin Regina Bartel hat Biologie und Wissenschaftsjournalismus studiert, spricht fließend Englisch und Spanisch, schreibt für Medien, Pressestellen und Forschungseinrichtungen, darunter die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, sie lehrt auf Ämtern und in Forschungseinrichtungen lesbare Texte zu schreiben und mäht zur Entspannung gern den Rasen.
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Birte Vogel (bv): Frau Bartel, Sie sind Wissenschaftsjournalistin und haben Biologie studiert – war der Journalismus von Anfang an Ihr berufliches Ziel?
Regina Bartel (RB): Nein, überhaupt nicht. Ich habe mit fünfzehn beschlossen: Ich werde Verhaltensforscherin und davon war ich sehr überzeugt. Wenn mich zu Teenager-Zeiten jemand gefragt hat, warum, war meine Begründung immer: „Konrad Lorenz ist tot, Bernhard Grzimek ist tot und Sielmann ist auch schon alt – die brauchen mich!“ Ich wollte auf einer Wiese hocken und Tiere beobachten. Also hab ich das studiert.
bv: Wieso haben Sie dann nach dem Studium zu schreiben begonnen?
RB: Für meine Diplomarbeit hab ich wirklich noch in Andalusien auf einem Berg gehockt und Mönchsgeier beobachtet. Da war aber schon klar, dass im Anschluss etwas anderes kommen würde. Mein Problem im Biologie-Studium war, dass mich alles interessierte. Ich hab zum Beispiel auch Biophysik gemacht, was im Grunde das entgegengesetzte Ende der Biologie ist: Biophysiker berechnen die Bewegung einzelner Protonen in der Zelle, Verhaltensforscher hätten gern das ganze Tier in seiner natürlichen Umgebung. Ich fand das einfach alles ganz spannend. Und deshalb war die Aussicht, zukünftig monatelang im Keller zu hocken und mit Lasern auf Spinatchloroplasten zu schießen irgendwie düster und zu einseitig. Das Vermitteln lag mir, aber Lehrerin?
bv: Nicht so Ihre Sache?
RB: Bitte nicht. Und meine Kommilitonen beschimpften mich regelmäßig als Hobby-Germanistin, weil ich fand, man könnte mehr auf die Sprache achten und die Versuchsprotokolle, die man als Biologiestudentin ja ständig anfertigt, schöner schreiben. Das Aufbaustudium Wissenschaftsjournalismus war dann das klassische Schlüsselerlebnis für mich: es verband die Biologie und das Vermitteln.
bv: Gibt es diesen Aufbaustudiengang heute noch?
RB: Als ich mich in Hannover dafür bewerben wollte, wurde der Studiengang abgeschafft. Deshalb bin ich an die FU Berlin gegangen. Den Studiengang gibt’s auch da inzwischen nicht mehr, aber es gibt heute andere Studienmöglichkeiten, zum Beispiel in Dortmund als Bachelor und Master. Bei uns war es ein sehr kompaktes, zweisemestriges Aufbaustudium mit Pflichtpraktika; wir sind da durch Theorie und Praxis gejagt worden. Es war sehr fernsehlastig, aber mit einem schön starken Schwerpunkt auf der Hörfunkausbildung. Das war 2000 bis 2001, Online-Journalismus fing da grad erst an, war also nicht so stark vertreten.
bv: Hatten Sie vorher schon ein Interesse an Hörfunk?
RB: Ich war ein riesengroßer Fan von Deutschlandfunk. Ich hatte nie einen Fernseher, und hab folglich viel Radio gehört. Keine lokalen Privatsender, sondern Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur etc. Da gab’s Feature-Formate, große Reportagen, monothematische Sendungen, Forschung aktuell. Ich fand Hörfunk ein sehr spannendes Medium. Da wollte ich auch gerne hin oder in die Wissenschaftskommunikation in einer Pressestelle, am liebsten an einer Universität oder einer Forschungseinrichtung. Da hat man die Möglichkeit, in die aktive Forschung einer Einrichtung reinzuschauen. Man kriegt die Ergebnisse mit, muss aber nicht selbst im Keller mit Lasern auf Spinatchloroplasten schießen.
Wissenschaftsjournalismus ist eine Art Dolmetschertätigkeit
bv: Haben Sie dann beim Hörfunk gearbeitet oder in einer Pressestelle?
RB: Ich hab immer wieder mal Hörfunk gemacht, ein bisschen Print, als Ghostwriterin ein Buch geschrieben und alle möglichen Textprojekte querbeet gemacht. Das war als Orientierungsphase aber auch ganz gut. Dann war ich ein Weilchen angestellt in einer Universitätspressestelle. Das war interessant, aber danach bin ich noch einmal bewusster zurück in die Selbstständigkeit gegangen.
bv: Was ist es an der Wissenschaftskommunikation, das Ihnen so viel Spaß macht?
RB: Wissenschaftsjournalismus ist eine Art Dolmetschertätigkeit. Denn die Fachsprache ist sehr wissenschaftlich, sehr trocken und elitär, wirft mit Fachvokabeln um sich und schafft dadurch eine geschlossene Community. Ich bringe das, was daran für die Öffentlichkeit interessant und wichtig sein kann, in eine Normalsprache, um dem interessierten Leser, der auch Nicht-Akademiker und Nicht-Abiturient sein kann, zu vermitteln, was da passiert in diesem Elfenbeinturm. Ich bin in meiner Familie der erste Mensch mit Abitur und Universitätsstudium. Ich kenne also beide Seiten. Ich bewerte und ordne ein, um zu vermitteln und den Leuten eine eigene Bewertung zu ermöglichen. Man schafft ihnen damit einen Zugang zu diesen Themen, und das macht einfach Spaß.
bv: Über welche Themen schreiben Sie?
RB: Ich schreibe viel über Agrarthemen, Veterinärmedizin und diverse Tierkrankheiten. Als es zum Beispiel um die Vogelgrippe ging, war es mir wichtig, nicht nur zu vermitteln: Oh, Panik, da kommt eine Pandemie! Es war ja das erste Mal, dass vielen Menschen überhaupt das Wort Pandemie begegnet ist. Meine Aufgabe war es da, zu gucken: Was ist das wirklich? Was sagt die Wissenschaft dazu? Ist das wirklich ein Grund sich Sorgen zu machen?
bv: Worüber schreiben Sie noch?
RB: Ich schreibe zum Beispiel auch über eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten. Kürzlich hab ich für eine Forschungseinrichtung eine Pressemitteilung geschrieben, bei der es um ein neu eingewandertes Tier ging, das an einer Baumart Fraßschäden verursachen kann. An sich ist das erstmal nicht so dramatisch. Aber man hat daran sehr gut gesehen, wie die Medienlandschaft tickt: Mögliche Schäden ziehen immer. Was passiert da im Wald und im Vorgarten? Und die Pressemitteilung ist richtig gut gelaufen – also oft von Zeitungen übernommen worden.
bv: Warum, meinen Sie, war das so?
RB: (lacht) Ich glaube, das lag hauptsächlich am Namen dieses Tiers. Es war die Zickzack-Ulmenblatt-Wespe.
Die Passivkonsumierung von Geschriebenem ist auch mal ganz schön
bv: Haben Sie in diesem großen Themenfeld ein Lieblingsthema?
RB: Das ist wohl die Tierhaltung, weil es gesellschaftlich wichtig ist. Man muss ja unterscheiden zwischen der Emotionalität, mit der Menschen die Nutztierhaltung beurteilen, und dem, was fachlich und historisch dahintersteht. Es gibt ja nicht nur den Ist-Zustand, sondern das Ganze hat eine Geschichte. Es wurde schon immer über Landwirtschaft geschrieben. Historische Quellen sagen, welche Haltungsformen bestanden haben, die man aus der Nutztier-Ethologie, also aus der vergleichenden Verhaltensforschung, heraus heute als nicht gut beurteilen müsste. Viele glauben, früher war alles besser.
bv: Und war es das?
RB: Die Fachleute sagen, dass das Schwein früher, das über den Sommer fett gemacht wurde, im niedrigen kleinen Kellerloch auch nicht gut gehalten wurde. Es hat auch seine Gründe, warum es irgendwann zu großen Ställen und zum Beispiel zu Legebatterien gekommen ist. Und es ist auch immer daran geforscht worden, wie man es besser machen kann. Wenn man weitere Kenntnisse gewinnt, dann muss man sagen: jetzt optimieren wir das System. Und je nach Zielsetzung geht es dann um höhere Leistung – also zum Beispiel mehr Eier pro Legehenne, mehr Milch pro Kuh, mehr Schinken am Schwein –, um bessere Hygiene oder tiergerechtere Haltung. Forschung im Agrar- und Veterinärbereich ist eine unheimlich praxisnahe Forschung. Diesen Punkt, an dem die Wissenschaft auf die Umsetzung trifft, die was mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun hat, find ich spannend.
bv: Gibt es etwas, das Sie unbedingt mal schreiben wollen?
RB: (lacht) Ich werde jedenfalls kein Buch mit lustigen Tiergeschichten schreiben, obwohl ich häufig dazu aufgefordert werde. Schreiben ist Arbeit für mich, und wenn ich nicht arbeite, gehe ich auch wirklich gerne mal Rasenmähen. Es wird immer der Schluss gezogen, dass wir alle gern und dauernd schreiben wollen. Aber wenn Feierabend ist, ist die Passivkonsumierung von Geschriebenem auch mal ganz schön.
bv: Für wen schreiben Sie?
RB: Ich arbeite freiberuflich für Medien und auch für Pressestellen und Forschungseinrichtungen. Eine Kundin ist die Senckenberg Gesellschaft. Besonders interessant an der Arbeit für Pressestellen wie diese ist, dass man auch mal die andere Seite des Schreibtisches zu sehen kriegt. Man hat in Pressestellen viel mit Journalisten zu tun, die Gesprächspartner zu bestimmten Themen suchen. Da merkt man, wie riesig die Bandbreite von Journalisten ist: Es gibt den mit aktuellen Themen arbeitenden Tageszeitungsjournalisten, der sich mit etwas auseinandersetzen muss, von dem er noch nie gehört hat oder dem Wissenschaft einfach gar nicht liegt. Und dann gibt’s Leute – durchaus auch oft von Tageszeitungen –, die unheimlich gut vorbereitet sind, die schon wissen, an welchem Institut sie den Wunsch-Ansprechpartner finden. Man vermittelt ihnen dann die Interviewpartner. Oft recherchiert man aber auch im eigenen Hause weiter, ob man nicht jemanden hat, der noch nicht so oft in den Medien war und zu dieser Fragestellung noch besser passt. Es ist schon spannend, weil man ein Haus auf diese Art und Weise sehr gut kennenlernt.
bv: Und was ist fachlich daran für Sie spannend?
RB: Senckenberg beschäftigt sich viel mit Evolution und Biodiversitätsthemen. Da bin ich als Biologin wieder ganz glücklich. Ein wesentlicher Punkt dessen, was man in Pressestellen von Forschungseinrichtungen tut, ist auch die Informationen des Hauses für die Medien aufzubereiten, also aus Forschungsergebnissen Pressemitteilungen zu machen, die es den Kollegen draußen bei den Medien erleichtern, dass Thema aufzugreifen. Man arbeitet da eng mit den Wissenschaftlern zusammen, schaut sich die Sachen auch mal im Labor an, feilt teilweise an jedem Satz und bespricht natürlich als allerers tes mal: Was ist an diesem Forschungsergebnis eigentlich das Besondere, was ist die Nachricht? Jetzt kommt auch immer mehr dazu, dass man sich gleichzeitig überlegt: Ist das auch ein Social Media Thema und wie bereiten wir es dafür auf?
Momentan habe ich eine freundliche 50-Stunden-Woche
bv: Sie twittern selbst viel, aber nicht beruflich, oder?
RB: Nein, ich wollte das nur mal ausprobieren. Ich befasse mich zwar mit Social Media, weil ich das für manche Kunden natürlich brauche, aber für mich privat haut mich das nicht vom Hocker. Ich betrachte es als einen weiteren Zeitfresser in meiner Tagesbilanz. Ich blogge nicht, ich facebooke nicht ernsthaft. Ich atme. (lacht) Und Sie sehen ja selbst, wie viel Arbeit es macht, einen Blog kontinuierlich mit Inhalt zu füllen. Man möchte ja nicht zu jemandem verkommen, der sein Essen fotografiert und dessen Nährwert mit Nachrichtenwert verwechselt.
bv: Was sind für Sie nach elf Jahren als Freiberuflerin die Vorteile gegenüber dem Angestelltsein?
RB: Was am Angestelltendasein total einfach war: man geht da hin und man arbeitet, und irgendwann im Monat kommt das Geld. Und das gibt’s auch für Zeiten, in denen man mal den Schreibtisch aufgeräumt oder Ablage gemacht hat. Der Nachteil ist aber dieses Eingebundensein in ein sehr starres System. Ich hab jetzt auch nicht mehr Handlungsspielraum und Projektverantwortung, aber dieses System von starren Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen, dem Riesenaufwand, um Überstunden abzubauen, und mit dem enormen Bürokratieaufwand hat man nicht. Als Freie hat man auch Buchhaltung und Steuerkram, aber das find ich sinnvoll, um mein Geld einzufordern. Im großen Apparat angestellt zu sein, macht nicht immer einen sehr sinnvollen Eindruck auf mich.
Noch ein Vorteil ist, ich kann wohnen, wo ich will. Gerade in der Biologie ist es so, dass die Leute in der Wissenschaft alle zwei, drei Jahre umziehen, weil sie von einem befristeten Vertrag zum anderen getreten werden. Auch die Hochschulverwaltungen – und Pressestellen sind immer Teil der Verwaltung – arbeiten mit befristeten Verträgen. Meine Projekte sind zum Teil sehr viel kürzer als ein paar Monate, oder auch nur mal ein paar hundert Zeichen lang. Aber ich kann bestimmen, wo ich mich aufhalte, und ich werde nicht dauernd zwangsweise aus wirtschaftlichen Gründen entwurzelt.
bv: Gibt es auch Nachteile an der Selbstständigkeit?
RB: Die sehr große wirtschaftliche Unsicherheit. Es gibt Phasen mit gutem Einkommen, Phasen mit schlechtem Einkommen und Phasen mit sehr schlechtem Einkommen. Nie ist irgendwas statisch. Man darf nicht krank werden, und man ist für alles verantwortlich. Wenn ich entscheide, einen Auftrag anzunehmen, muss ich das auch durchziehen, weil der Kunde das von mir erwartet. Wenn man angestellt ist, kann man Kollegen finden, die übernehmen. Es ist für mich als Freie aber schwierig, jemanden als Vertretung zu finden, der sich mit der Thematik auskennt und der mit diesen Honoraren leben kann.
bv: Welche Arbeitszeiten haben Sie?
RB: Momentan eine freundliche 50-Stunden-Woche, aber am Wochenende muss ich durchaus auch mal arbeiten, je nachdem wie gut meine Zeitplanung ist. Da ist man als Freiberufler ja ganz furchtbar sich selbst ausgesetzt. Denn man ist ja selbst dafür verantwortlich, wenn’s nicht aufgeht, und das ist nicht gut fürs Ego.
Seit 7-8 Jahren boomt der Wissenschaftsjournalismus
bv: Sie sprachen eben die Honorare an, die so seien, dass nicht jede/r dafür arbeiten würde. Ist das synonym für den gesamten Wissenschaftsjournalismus?
RB: Im Studium wurde uns gesagt, mit der Spezialisierung auf den Wissenschaftsjournalismus hätten wir tolle Chancen, weil dieser Bereich wachsen würde. Ein paar Wochen nach dem Studium sagte mir ein Redakteur: „Diese Wissenschaftsseiten sind so 90er Jahre!“ Damals brach der Wissenschaftsjournalismus auch ein, aber seit sieben, acht Jahren boomt es wieder. Man bekommt mehr Aufträge, aber nicht mehr Geld. Mit zunehmender Erfahrung hat man die Möglichkeit, sich die besseren Aufträge auszusuchen, und man kann sich von den nicht gut zahlenden Kunden trennen. Man wird in diesem Beruf nicht schön, reich und glücklich – das kann man gar nicht häufig genug sagen. Aber man muss als Unternehmerin denken und eben nicht nur Ruhm und Ehre anstreben, sondern auch dafür sorgen, dass man davon leben kann.
bv: Wie macht man das?
RB: Man muss die Spreu vom Weizen trennen, kontinuierlich an der eigenen Fortbildung arbeiten. Es verändert sich auch sehr viel durchs Internet. Man muss außerdem mal zur Seite gucken und Geschäftsfelder erschließen, die thematisch damit zusammen hängen.
bv: Zum Beispiel?
RB: Ich bin jetzt auch in die Erwachsenenbildung eingestiegen und bringe Menschen verständliches Schreiben bei. In Behörden und Forschungseinrichtungen zum Beispiel, wo das verständliche Schreiben schon mal Probleme bereitet.
bv: Ist eigentlich der Total-Buy-Out Usus im Wissenschaftsjournalismus?
RB: Bei Tageszeitungen, ja; das ist ganz übel. Gerade bei den großen Verlagshäusern kann es passieren, dass man für eine Wissenschaftsseite zuliefert und für den Artikel 100 Euro bekommt. Und dann wird einem zugetragen, wo der Artikel sonst noch alles erschienen ist, ohne dass man darüber informiert oder dafür bezahlt wurde. Bei Fachzeitschriften kann man die Themen zwar wiederverwerten, aber man schreibt dann doch immer wieder einen neuen Text.
bv: Inwiefern hat sich der Wissenschaftsjournalismus in den letzten Jahren verändert?
RB: Wie in allen anderen Zweigen des Journalismus hat sich viel durch die Möglichkeiten des Internets verändert. Und man muss bei einem Thema für mehrere Medien arbeiten. Ich denke auch, dass das Publikum anspruchsvoller wird. Die Auswahl an Wissenschaftsformaten wird größer, und damit wächst der Anspruch, die Dinge gut und verständlich dargestellt und in einer hohen Qualität vermittelt zu bekommen.
bv: Ist das gut oder nicht gut?
RB: Definitiv gut. Auch, dass die Wissenschaft runtergebrochen wird, in sehr magazinartigen Formaten vorkommt, auch mal mehr ins Feuilleton wandert und nicht mehr nur ganz hinten auf einer kleinen Wissenschaftsseite landet, dass sie auch immer wieder mal im Politikressort auftaucht – das wird mehr, und das ist gut.
Es ist immer „learning by doing“
bv: Welchen Stellenwert hat der Wissenschaftsjournalismus online?
RB: Es gibt ein paar verdammt gute Blogger in dem Bereich. Sowohl Blogger, die aus der Wissenschaft kommen, als auch Journalisten, die sehr gute Blogs machen. Im deutschsprachigen Raum ist das noch nicht so weit entwickelt wie im englischsprachigen Raum, aber das kommt.
bv: Welche Wege kann heute jemand gehen, der sich für den Wissenschaftsjournalismus interessiert?
RB: Man neigt ja dazu, den eigenen Ausbildungsweg als den einzig wahren zu sehen; man quasselt sich sein eigenes Schicksal schön. Aber ich glaube wirklich, dass der Ansatz in Berlin der richtige war. Da war es unbedingte Voraussetzung, ein Studium abgeschlossen zu haben. Und da war jede Fachrichtung vertreten. Wir wussten alle, wie die wissenschaftliche Welt tickt, mit all ihren Hierarchien und Problematiken. Ob man sich dann das journalistische Handwerk über ein Volontariat oder ein Studium draufpackt, ist egal. Aber es ist immer „learning by doing“. Man darf nicht glauben, dass man je zu alt ist, um dazuzulernen.
bv: Was sollte man, Ihrer Ansicht nach, unbedingt für diesen Job mitbringen? (Anm.: Im Hintergrund kräht jemand vernehmlich.)
RB: Es war der Hahn, und nicht die Lerche! (lacht) Man sollte nach Möglichkeit ein sehr neugieriges Spielkind sein und immer alles wissen wollen. Und man muss sich selbst aus der Sache rausnehmen, um vom Rezipienten, vom Leser, Hörer, Zuschauer aus zu denken; um nicht das eigene Wissen als Grundlage zu nehmen, sondern ein bisschen anders anzusetzen. Mein Wissen nach der Recherche ist natürlich ein anderes als das der Leser, Hörer und Zuschauer. Da zurückzuschrauben fällt manchmal schwer, aber man muss es können.
bv: Wäre es ratsam, sich wie Sie auf ein bestimmtes Fachgebiet zu spezialisieren oder sind GeneralistInnen besser dran?
RB: Es geht beides, aber das hängt davon ab, für welche Medien man arbeitet. Wenn ich für Fachzeitschriften arbeite, muss ich ein sehr gutes Grundwissen in dem Bereich haben. Je tiefer man sich einarbeitet, desto besser sind die Fragen, die man stellen kann. Wenn man mal für ein Publikumsmedium ein Thema aufbereiten soll, das einem selbst gar nichts sagt, ist man ja schon in der Situation des Lesers. Aber dann kann man keine kritischen Fragen stellen, weil einem das Fundament dafür fehlt. Das kann man zwar nachholen, aber dann ist die Frage, ob der Aufwand dafür gerechtfertigt ist.
bv: Wie verläuft die Akquise im Wissenschaftsjournalismus? Wie kommt man da an Aufträge?
RB: Man schlägt Themen in der entsprechenden Fachredaktion oder dem Ressort vor. Wenn man länger und wiederholt für eine Redaktion gearbeitet hat, sprechen die einen von alleine an: „Aha, es kommen Hühner drin vor, da fragen wir mal Frau Bartel.“ Es gibt mittlerweile Phasen, in denen ich keine Akquise mehr machen muss, sondern die Aufträge von selber kommen. Es hat aber mehrere Jahre gedauert, bis ich da angekommen bin.
bv: Und wie ist es mit der Arbeit für die Pressestellen?
RB: Die habe ich über Empfehlungen durch Redakteure oder Kollegen bekommen.
bv: Sind Netzwerke also auch im Wissenschaftsjournalismus sehr wichtig?
RB: Sie sind schon sehr wichtig, aber teilweise auch sehr konkurrenzgetrieben. Man hat sich da nicht so dolle lieb. Man ist halt nur irgendwie vernetzt.
bv: Herzlichen Dank für das Gespräch!
(Zuerst veröffentlicht am 05.11.2013 auf „Schreiben als Beruf“.)