
„Ich wusste gar nicht, dass es noch Leute gibt, die sich so eine Scheiße ausdenken“, sagt der Hamburger Werbetexter Peter Breuer über die Werbung der Neuen Nordhäuser Zeitung (NNZ), einem Online-Nachrichtenportal für Nordhausen in Thüringen. Kreativdirektor Victor Steinbrück aus Frankfurt kommentiert das Ganze so: „Das war unterste Werbeschublade, unter aller Kanone.“
Laut Aussage des Betreibers und Chefredakteurs der NNZ, Peter-Stefan Greiner, warb sein Portal bereits seit dem Jahr 2000 mit Motiven und Texten wie diesem hier (s. Bild rechts).
Doch erst im Juni 2013 scheint es die erste ernsthafte Beschwerde dagegen gegeben zu haben – zumindest die erste, die Greiner öffentlich machte. Stefani Müller, Gleichstellungsbeauftragte von Stadt und Landkreis Nordhausen, hatte nämlich aufgrund „frauenfeindlicher und sexistischer Worte und Motive“ dieser Werbung schriftlich protestiert. Dieses Schreiben stellte Greiner online und antwortete dort auch gleich noch öffentlich:
„Sehr geehrte Frau Müller, wer den Sinn der Werbung nicht versteht und keinen Humor hat, der sollte in nächster Zeit vielleicht alle Medien meiden. Wenn Sie jedoch noch mehr lustige Werbung sehen wollen? Kein Problem – hier gibt es weitere Vorlagen.“
Es ist ein alter, gammeliger Hut, dass Werbung, die von einem (insbesondere weiblichen) Teil der Bevölkerung als anstößig oder sexistisch empfunden wird, von den Machern und Auftraggebern als „lustig“ oder „ironisch gemeint“ hingestellt wird. Manche werden sich noch an die Diskussionen um den „Herrenwitz“ des FDP-Politikers Rainer Brüderle oder die darauf folgende #aufschrei-Debatte auf Twitter erinnern (falls nicht, klicken Sie auf die beiden Links).
Es gibt Grundsätze gegen Diskriminierung in der Werbung
Um derartigen frauenfeindlichen Auswüchsen jedoch zumindest in der Werbung Grenzen zu setzen, hat der Deutsche Werberat Grundsätze gegen die Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen festgelegt. Darin heißt es u. a.:
„In der kommerziellen Werbung dürfen Bilder und Texte nicht die Menschenwürde und das allgemeine Anstandsgefühl verletzen. Insbesondere darf Werbung – gerade gegenüber Kindern und Jugendlichen – nicht den Eindruck erwecken, dass bestimmte Personen minderwertig seien oder in Gesellschaft, Beruf und Familie willkürlich behandelt werden können.“ Unter anderem dürfen demgemäß keine Aussagen oder Darstellungen verwendet werden, „die Personen auf ihre rein sexuelle Funktion reduzieren und/oder deren ständige sexuelle Verfügbarkeit nahelegen.“
Nichts anderes tut diese Werbung der NNZ jedoch. Anfang August dann gingen auf einmal zahlreiche Beschwerden beim Deutschen Werberat ein. Der vermeldete am 12. August, dass er das Unternehmen zur Stellungnahme aufgefordert habe.
Der Werberat ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Werbeunternehmen, Agenturen und Medien, der es sich seit 1972 zur Aufgabe gemacht hat, zwischen werbenden Unternehmen und Bevölkerung dort zu vermitteln, wo die Werbung von der Gesetzgebung nicht mehr abgedeckt wird. Er hat sich Grenzen gesetzt, die sich im Laufe der Zeit jedoch verschoben zu haben scheinen. Silke Burmester, Kolumnistin bei Spiegel Online, erinnert sich:
„Auch ich war mal so naiv zu meinen, ich müsse mich beim Werberat beschweren. Damals hatte – wenn ich mich recht erinnere – die Konservenindustrie eine ganzseitige Anzeige geschaltet, in der auf pinkfarbenem Untergrund eine taillierte, mit Dessous bekleidete Konservendose abgebildet war. Darunter stand: „Wie Frauen – leicht zu öffnen.““

Burmester erinnert sich nicht ganz korrekt. Unter dem Bild einer Weißblechdose mit weiblichen Rundungen und einem Slip stand: „Weißblech. Offen für alles.“
Der Werberat sah in dieser Art von Werbung damals keinen Anlass zur Beanstandung. Er schrieb Burmester zur Begründung (das Schreiben liegt der Red. vor):
„Der Durchschnittsverbraucher […] wird aufgrund der Gesamtgestaltung der Anzeige durchaus in der Lage sein, darin keine Herabwürdigung von Frauen durch den Werbungtreibenden zu sehen. Ihre Kritik, wonach die Werbemaßnahme extrem frauenfeindlich sei, können wir nicht nachvollziehen und überdehnt unseres Erachtens den Aussagegehalt der Anzeige bei weitem. […] Im Übrigen geht der Werberat vorliegend davon aus, dass die Leser […] den Zusammenhang zwischen dem Werbemotiv und der weltweit bekannten Produktaufmachung des Frauenduftes von Jean Paul Gaultier erkennen können. Dieses Parfum wird in einem als Frauenkörper gestalteten Flakon angeboten, der sich wiederum nicht – wie sonst üblich – in einer Verpackung aus Pappe befindet, sondern in einer Weißblechdose.“
Das war nicht im letzten Jahrhundert, sondern im Jahr 2004. Und die Blechdose, in der das Parfum steckte, sah aus wie jede andere Suppendose. Wie der Werberat jedoch Worte wie „Kauflustobjekt“ oder „käuflicher Luxuskörper befriedigt auch besondere Wünsche“ neben einer solchen Dose vor neun Jahren nicht als diskriminierend gegenüber Frauen einstufen konnte, ist aus heutiger Sicht nicht ganz nachzuvollziehen.
Gerügte Werbung ausnahmslos frauenfeindlich
Heute, so Katja von Heinegg vom Werberat, würde man möglicherweise anders entscheiden. Ein Beispiel dafür ist der Fall der NNZ-Werbung. Beim Nachrichtenportal selbst sah man kein Fehlverhalten und wollte die fragliche Werbung weiterhin auf der Website belassen. Daraufhin sprach der Werberat eine öffentliche Rüge aus, die nicht nur der NNZ zuging, sondern auch der bundesweiten Presse. Im Wortlaut:
„Der Werberat ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Werbemotiv zu beanstanden ist, da es, insbesondere in Verbindung mit dem Slogan, Frauen auf ihre Körperlichkeit reduziere und suggeriere, sie müssten tun, was ein Mann von ihnen verlange. Zudem werde der Körper einer Frau mit einem Produkt (Zeitung) gleichgesetzt. Beides sei in kommerzieller Kommunikation nicht akzeptabel.“
Wie sehr sich eine solche Rüge verbreitet, hängt dann einzig von den berichtenden Medien ab. In diesem Fall schrieb überregional nur die taz darüber. Selbst Spiegel Online, der als einziges überregionales Blatt im August über die Beschwerden geschrieben hatte, verfolgte die Geschichte nicht weiter. Ist eine Rüge, bei so wenig Widerhall in der Öffentlichkeit, dann nicht nur ein zahnloser Tiger? Katja von Heinegg verneint:
„Die Rüge mit der einhergehenden Prangerwirkung stellt eine empfindliche Sanktion dar, denn [die Unternehmen, Anm. d. Red.] investieren in ihr positives Image nicht unerhebliche Betriebsmittel. Gerügte Unternehmen werden erfahrungsgemäß selten ein zweites Mal werbeauffällig.“
Tatsächlich ist die betreffende Anzeige mittlerweile von der Website der NNZ verschwunden.
Der Werberat muss nach eigener Aussage „sehr selten zum Instrument der Öffentlichen Rüge greifen“. Doch immerhin neun Rügen waren es schon im Jahr 2013 – und ausnahmslos alle (auch jene aus vergangenen Jahren, die mit Screenshots dort verlinkt sind) aufgrund frauenfeindlicher Darstellungen in Wort und Bild. Allerdings ist anzunehmen, dass so manche frauenfeindliche Werbung dem Werberat gar nicht erst gemeldet wird.
Solche Werbung ist immer kontraproduktiv
„Dass so viel sexistische Werbung gerügt wird“, sagt Victor Steinbrück, „liegt wohl daran, dass die betroffenen Unternehmen denken, sie könnten auf diese Weise Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie erkennen nicht, dass das ihr Produkt oder ihr Image kaputt machen kann. Solche Werbung ist immer kontraproduktiv.“ Auch Peter Breuer hält von dieser Art von Werbung nichts. „Warum wirbt eine biedere Lokalzeitung mit einer Frau, der die Brüste fast aus dem BH fallen? Haben die sonst keine Themen?“ Die Kampagne erinnere ihn an Werbung aus den 70er Jahren: „Es war eine Werbung für Fertigzement. Neben einer Betonmischmaschine stand eine Frau im Bikini, und die Headline bemühte die Gemeinsamkeit von Zement und Nacktheit: ‚Fix und fertig zum Gebrauch.‘ Die NNZ hat nicht viel dazugelernt, die Anzeige ist genauso dumm und sexistisch.“
Dem Antwortschreiben Greiners auf die Beschwerde der Gleichstellungsbeauftragten Müller folgten noch im Juni auf der Website der NNZ mehrere Kommentare, die den Schluss zulassen, dass Frauenfeindlichkeit nicht nur in der Werbung noch immer ein verbreitetes Thema ist. „Ich glaube“, so Victor Steinbrück, „es gibt sehr viel mehr Leute als man denkt, die sich solchen Blödsinn ausdenken. Wobei man da von denken vielleicht gar nicht reden kann. Ich lass mir zwar auch nicht gern vorschreiben, was ich zu denken habe, aber dass das Schwachsinn ist, seh ich in solchen Fällen schon selbst.“
Als Peter Breuer im August auf diese Werbung aufmerksam wurde, entschied er sich, ebenfalls zu kommentieren. Er hatte sich gefragt: „Warum liest die leichtbekleidete Dame des Werbefotos nur den Kleinanzeigenteil?“ Was für eine Ohrfeige für ein Nachrichtenportal, das – nach eigenen Angaben – mehr als 3 Millionen Seitenaufrufe pro Monat hat. Greiner hatte die Diskussion jedoch schon im Juni geschlossen; Breuers Kommentar wurde nicht mehr veröffentlicht.
Die Werbebranche hat sich offensichtlich mit der Gesellschaft und ihren Werten mit entwickelt. Auf den Schutz von Kindern muss heute kaum noch ein werbendes Unternehmen gesondert hingewiesen werden. Doch wenn es um den Respekt für etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung geht, nämlich die Frauen, hinken so manche Unternehmen und manche Teile der Bevölkerung offensichtlich viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hinterher.
(Zuerst veröffentlicht am 26.11.2013 auf „Schreiben als Beruf“.)