Wie erkennt man Lügen?

Als Journalistin, insbesondere wenn ich Porträts schreibe, auf die ich mich ja spezialisiert habe, bin ich darauf angewiesen, dass mir die Menschen, mit denen ich spreche, die Wahrheit sagen. Oder zumindest das, was sie selbst für die Wahrheit halten. Insbesondere, wenn es um Dinge geht, die ich nicht mehr überprüfen kann, weil bspw. eine erwähnte Person bereits verstorben ist. Doch kennen wahrscheinlich alle JournalistInnen die Situation, in einem Gespräch zu sitzen und bei den Antworten des Gegenüber das vage Gefühl zu haben, dass da irgendetwas nicht stimmt, nicht stimmen kann, und sich das Gefühl trotz aller Nachfragen hartnäckig hält. Ein vages Gefühl ist jedoch kein legitimer Grund, die GesprächspartnerInnen einer Lüge zu bezichtigen. Dass es jedoch nicht nur ein Gefühl sein muss, sondern dass es ganz unterschiedliche Wege gibt, zu erkennen, ob jemand lügt, zeigen immer neue Forschungen.

Soeben haben WissenschaftlerInnen der Universitäten von Harvard und Wisconsin z. B. in einer Studie bestimmte Sprachmuster identifiziert, die in bestimmten Situationen Lügen kennzeichnen. Bei einem Spiel haben sie sich insbesondere auf eine lügnerische Besonderheit konzentriert: die bewusste Auslassung oder Vermeidung des heißen Eisens. Das Spiel ging so: 104 TeilnehmerInnen wurden in Zweiergruppen aufgeteilt. TeilnehmerIn A bekam jeweils eine Summe Geldes zur Verfügung (entweder 30 oder 5 US-Dollar) und sollte selbst entscheiden, wie viel sie/er TeilnehmerIn B davon abgeben wollte. B wusste nicht, wie viel Geld A bekommen hatte und konnte die nun angebotene Summe annehmen oder ablehnen. B durfte A außerdem zwei Minuten lang zu der ursprünglichen Summe befragen. A war es freigestellt, wahrheitsgemäß zu antworten oder zu lügen. Am Ende sollte B entscheiden, ob A die Wahrheit gesagt oder gelogen hatte, und ob die angebotene Summe fair war oder nicht.

Eine glatte Lüge wirkt glaubwürdiger

Die Gespräche wurden transkribiert und anschließend auf bewusste, strategische sowie unbewusste, emotionale Sprachmuster hin untersucht. 70% der TeilnehmerInnen der Gruppe A sagten in diesen Gesprächen die Wahrheit und gaben B mindestens die Hälfte der Summe ab. 30% jedoch logen entweder bezüglich der Höhe der Summe oder vermieden es ganz, auf diesbezügliche Fragen direkt zu antworten. Die WissenschaftlerInnen identifizierten nun folgende Muster:

Strategische LügnerInnen gebrauchten entweder wesentlich mehr oder wesentlich weniger Worte als jene, die die Wahrheit sagten. Jene, die nicht strategisch vorgingen, benutzten eher Personalpronomen, die von ihnen ablenken sollten, und formulierten wesentlich komplexere Sätze als jene, die die Wahrheit sagten. Und sie benutzten häufiger Kraftausdrücke, insbesondere, wenn B noch Zweifel am Gesagten äußerte. Interessant ist außerdem, dass den strategischen Lügnern mehr Glauben geschenkt wurde als denen, die nicht strategisch vorgingen, denn eine glatte Lüge, die wie aus der Pistole geschossen kommt, erscheint vertrauenswürdiger als eine Lüge, die mit Auslassungen und Pausen vorgebracht wird.

Was heißt das nun für meine Arbeit als Journalistin – da steh ich nun, ich armer Tor, denn auf glatte Lügen falle ich vielleicht ebenfalls herein? Möglich. Doch habe ich dank der Studienergebnisse noch ein weiteres Instrument in der Hand, mit Hilfe dessen ich abwägen kann, ob ich den Antworten einer Person vertrauen kann oder nicht. Solche Instrumente sind allerdings immer auch mit Vor- und Umsicht in der Praxis einzusetzen, denn nicht jeder Kraftausdruck, nicht jeder komplexe Satz, nicht jede Pause deutet automatisch auf eine Lüge hin. Nicht unwichtig dabei ist allerdings auch, dass immerhin 30% der TeilnehmerInnen gelogen haben, wenn sie sich einen persönlichen Vorteil davon versprachen – selbst wenn es z. T. lediglich um Summen von weniger als fünf US-Dollar ging.

Weitere Einzelheiten zu dieser Studie gibt es hier.

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