
Das Porträtschreiben zählt zu den Königsdisziplinen des Journalismus. Es ist auch tatsächlich eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Formen. Wenn Kolleg_innen Porträts schreiben, aber fest stecken, ziehen sie mich manchmal zu Rate. In der Regel haben sie keine spezifischen Fragen, sondern nur das Gefühl, dass sie irgendetwas an ihren Porträts verbessern könnten – bloß was? In nächster Zeit werde ich hier ein paar Artikel veröffentlichen, die manchen von ihnen vielleicht schon weiterhelfen können.
Doch was genau ist überhaupt ein Porträt? Von drei faktenbeladenen Halbsätzen bis hin zu einem epischen Gay Talese-Text wird ja alles mögliche “Porträt” genannt.
Bei Fotos ist das ganz leicht: Ein Porträtfoto eines Menschen zeigt diesen zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Das Foto ist eine Momentaufnahme und hätte einen Sekundenbruchteil später schon wieder ganz anders aussehen können. Es kann gestellt oder ungestellt sein, und in der Regel weiß die fotografierte Person, dass ein Porträtfoto von ihr gemacht wird.
Ähnlich verhält es sich jedoch auch mit dem geschriebenen Porträt. Es ist nur keine Sekundenaufnahme eines Menschen, sondern fängt einen wesentlich längeren Zeitraum ein. Ein Porträt ist keine (Kurz-) Biografie, im Sinne einer reinen Aneinanderreihung von Lebensdaten und Erlebnissen von der Geburt bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes, wie sie häufig über Politiker_innen oder Künstler_innen erscheinen, die in Kürze irgendein Amt antreten werden. Oftmals werden auch Porträt und Interview verwechselt – ein Interview ist jedoch ein Text, der (fast) ausschließlich aus Fragen und Antworten besteht. Ein Porträt besteht jedoch auch noch aus Beschreibungen, Einschätzungen und Hintergrundinformationen.
Widerspiegelung eines Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt
Und während eine Reportage eher ereignis- und handlungszentriert ist, steht im Porträt der Mensch im Zentrum. Das Porträt versucht also einen Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens in seinem Wesen, seinen Handlungen und in seiner Umgebung widerzuspiegeln. Eine jedes Detail erschöpfende und bis ins Kleinste charakterisierende Darstellung wird nie gelingen, ist aber auch nicht die Aufgabe des Porträts. Doch es möchte die betreffende Person zum Zeitpunkt der Treffen mit den sprechendsten charakterisierenden Details dar- bzw. vorstellen. Und im besten Fall werden die nicht einfach nur aufgezählt, sondern lassen sich aus dem Text herauslesen und erspüren.
Porträts sind unter Journalist_innen und Leser_innen zugleich äußerst beliebt. Doch wenn sie wirklich gut, lebendig und dreidimensional werden sollen, braucht das Zeit – und welche Redaktion ist heute noch bereit, diese Zeit auch zu bezahlen? In der Regel werden Freie für Porträts nach Zeilen oder pauschal vergütet. Da muss dann oft ein einziger Besuch von einer oder auch nur einer halben Stunde genügen, wenn es am Ende ohnehin nicht mehr als vielleicht 50 Euro gibt. Eine halbe Stunde für 50 Euro – was für ein Spitzenhonorar! Nein, denn hinzu kommt noch die Anfahrt, die meist nicht bezahlt wird, das Konzipieren und Schreiben an einem Computer (mit Internetanschluss), den man selbst bezahlen muss, in einem Raum, dessen Miete man selbst tragen muss. Auch die Schreibzeit wird nicht extra vergütet. Insofern ist es vielen Freien nicht zu verübeln, wenn sie die Porträts so schnell es geht in die Tasten hauen, auch wenn der Text dann eben nur Standard wird und nicht gut. Würden die Medien besser zahlen, gäbe es bessere Texte.
Trockene Texte sind mühsam zu lesen
Die Idealsituation für Porträt-Schreibende wäre die, die sich der bekannte amerikanische Journalist Gay Talese immer wieder schaffen konnte: er recherchierte und interviewte oft monatelang. Für ein (am Ende nie zustande gekommenes) Porträt der Chinesin Liu Ying, die bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1999 im Finale beim Elfmeterschießen den entscheidenden Elfmeter gegen die USA vergab, reiste Talese ihr nach China hinterher und kehrte erst fünf Monate später wieder zurück. Für sein berühmtestes Porträt, “Frank Sinatra Has A Cold”, blieb er dem Sänger ganze drei Monate lang auf den Fersen.
Davon können wir Freien hier in Deutschland nur träumen. Tolle Texte unter solchem Druck – das haut in der Regel nicht hin. Zu viel Material muss in ein paar kurze Absätze gepresst werden, d. h. ein erzählender Porträt-Stil, der die Leser_innen anfixt und berührt, ist auf diese Weise gar nicht machbar. Weil der übliche Nachrichten- und Berichtstil präsenter ist und dadurch vielen Kolleg_innen leichter fällt, müssen sich Leser_innen und Porträtierte notgedrungen damit zufriedengeben. Eine Situation, die alles andere als ideal ist. Und so entstehen viele statische, eindimensionale Porträts, die im Grunde nicht mehr als eine Ansammlung von Daten und Fakten aus einem Lebenslauf sind. Solche Texte sind nicht nur mühsam zu lesen, sie haben auch den guten Ruf des Porträts beeinträchtigt, denn Redaktionen stehen Porträts (leider!) immer skeptischer gegenüber.
Ich werde also hier in nächster Zeit in der Reihe “Porträts schreiben” ein paar Hinweise und Tipps geben, wie man Porträts lebendig und dreidimensional schreiben kann (auch bei wenig Zeit), und welche Faktoren für ein gutes Porträt im Vergleich zu einem Standard-Porträt ausschlaggebend sind. Wer darauf nicht warten möchte, kann auch gern meinen Rat direkt erfragen.
Und in der Zwischenzeit können Sie lesen, was vor 48 Jahren dabei herauskam, als ein besonders hartnäckiger Journalist namens Gay Talese drei Monate lang einem Prominenten gefolgt ist, ihn (und andere aus seinem direkten Umfeld) aber kein einziges Mal persönlich sprechen durfte: “Frank Sinatra Has A Cold” (auf Deutsch nur in Buchform z. B. bei Zweitausendeins erhältlich). Und hier können Sie das Porträt eines “Machtflüsterers” lesen, aus der Feder von Alexander Osang, einem der besten Porträtisten Deutschlands.
(Dieses Posting ist der erste Teil meiner Serie “Porträts schreiben“.)
- Wo waren Sie, als es darum ging, den erneuten Aufstieg der Rechtsextremen zu verhindern? - 2. September 2018
- Porträts schreiben – ein paar ganz grundsätzliche Tipps für den Einstieg - 29. Januar 2018
- Wer macht den Journalismus kaputt? - 13. Oktober 2017
Wie toll, liebe Birte, eine Reihe über das Schreiben von Porträts! Wunderbare Idee! Freu mich total darauf.
Natürlich schreibe ich auch gerne Porträts – welche Journalistin/welcher Journalist nicht? ;-) –; aus den von Dir genannten Gründen allerdings leider auch selten.
Und Osang ist einer der ganz Großen. Ach.
Jetzt war ich zu schnell ;-)
Liebe Grüße aus Innsbruck
Susanne