Politik- und Reisejournalismus: Ingo Petz

Journalist und Osteuropa-Experte Ingo Petz (Foto: privat)
Journalist und Osteuropa-Experte Ingo Petz (Foto: privat)

Ingo Petz studierte Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft in Köln und Wolgograd (ehem. Stalingrad), machte ein Volontariat bei der Kölnischen Rundschau und arbeitet(e) als freier Journalist in Neuseeland, Aserbaidschan, Belarus und Berlin für Printmedien wie die Süddeutsche Zeitung, die FAZ, die taz, den New Zealand Herald, die Neue Zürcher Zeitung, GQ, brand eins, das ADAC Reisemagazin u. a. Er hat zwei Bücher geschrieben: „Kuckucksuhren in Baku. Reise in ein Land, das es wirklich gibt“ (2006) und „Kiwi Paradise. Reise in ein verdammt gelassenes Land“ (2010, beide bei Droemer). Sein Nachname spricht sich „Peetz“.

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Birte Vogel (bv): Herr Petz, Sie haben mit „Kiwi Paradise“ das in meinen Augen beste Buch über Neuseeland geschrieben. Ein Rezensent des Buches auf amazon.de schreibt: „Es kommt mir so vor, als sei er nur nach Neuseeland gefahren, weil das so schön weit von Deutschland weg ist.“ Hat er recht damit?

Ingo Petz (IP): (lacht) Ja und nein. Andere reisen viel während des Studiums, ich nicht. Ich habe immer Vollgas gegeben. Und direkt nach dem Studium habe ich ein Volontariat angefangen. Den Job hatte ich mir aber so nicht vorgestellt, immer nur vor dem Bildschirm zu sitzen. Ich wollte ein klassischer Reporter sein, Länder entdecken, Leute kennenlernen. Und ich hatte keine Lust mehr auf Deutschland. Dann traf ich eine neuseeländische Frau, und die Liebesgeschichte war ein guter Grund, abzuhauen. Es hätte aber auch Timbuktu oder die Ukraine sein können.

bv: Amazon.de-Rezensent(in) „Zotac“ schrieb zu „Kiwi Paradise“: „Habe das Buch nicht selbst gelesen, desshalb die neutrale Bewertung, soll aber ganz gut sein..“ „Kuckuck“ siedelt Sie „irgendwo zwischen Bill Bryson, David Sedaris und Bruce Chatwin an“. „L. P. Waterhouse“ wirft Ihnen in Bezug auf Ihr erstes Buch „Kuckucksuhren in Baku“ Übertreibung, Unaufrichtigkeit und Klischees vor. Hans-Peter Roentgen hätte sich mehr Hintergrund über Land und Leute gewünscht. Wie ernst nehmen Sie diese Rezensionen?

IP: Das Aserbaidschan-Buch ist natürlich ein ganz anderes Buch als „Kiwi Paradise“. In „Kiwi Paradise“ kriegt man viel mit über Neuseeland, da gibt es mehr Informationen. Im Aserbaidschan-Buch blieb das fast völlig aus, denn da ging es mir darum, Reisen in einem post-sowjetischen Land wiederzugeben. Ich war ein junger Autor, hatte grade mein erstes Buch geschrieben und war sehr erstaunt, was für böse Mails aus Aserbaidschan bei mir landeten. Es war sehr krass für die Leute, die Freiheit eines Autors zu akzeptieren, der gerade zum ersten Mal in ihrem Land ist. Ich musste lernen, damit umzugehen, mich nicht verunsichern zu lassen, mir nochmal klarmachen, was ich eigentlich mit dem Buch gewollt hatte: nämlich kein journalistisches Buch zu schreiben.

bv: Für „Kiwi Paradise“ gab es aber auch viel Kritik von jenen, für die Neuseeland das absolute Traumland ist. War diese Kritik anders für Sie?

IP: Bei „Kiwi Paradise“ hab ich mich noch gefreut über Kritik und die nicht ganz ernst genommen. Denn ich wollte ja kein Sehnsuchtsbuch schreiben. Von diesem Schrott gibt’s schon genug. Ich gehöre ja nicht zum Tourismusministerium. Ich wollte eine sehr persönliche Sicht zeigen, mit Humor, aber dem Sehnsuchtswahnsinn was entgegensetzen. Und ich ecke gerne an. Vielleicht bin ich deshalb Journalist geworden. Von solchen Spannungen lebe ich auch und ziehe da Energie raus.

Die lange Form muss man erst mal lernen

bv: Hatten Sie die Buchverträge schon vor den Reisen in der Tasche? Oder kamen die erst später zustande?

IP: Ich war mit einem Stipendium in Aserbaidschan und habe von dort Artikel für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Eine dieser Reportagen hatte Ilka Heinemann gelesen (Lektorin des Verlags Droemer Knaur, Anm. d. Red.). Sie schrieb mir eine Mail, ob ich mir nicht vorstellen könnte, ein Buch in diesem Stil zu schreiben. „Kiwi Paradise“ war dann ein Folgeauftrag.

bv: Ist ein eigenes Buch heute ein Muss für JournalistInnen, ist es notwendig für den Ruf?

IP: Es gehört zum Portfolio dazu. Ein Buch ist auch ein guter Weg, um sich bekannt zu machen und die lange Form mal auszuprobieren, denn die muss man erst einmal lernen; die liegt auch nicht jedem. Es ist aber auch eine sehr einsame und sehr schwierige Arbeit, und wenn man keine Kohle hat, umso schwieriger.

bv: Hat sich die Mühe gelohnt?

IP: Natürlich hat sie sich gelohnt. Vom Materiellen eher weniger, obwohl sich beide gut verkauft haben mit jeweils um die 10.000 Exemplare. Es gab auch recht viele Lesungen, nur darf man die nicht überbewerten. Es war aber immer ein Zubrot. Für „Kiwi Paradise“ habe ich nochmal drei, vier Monate in Neuseeland gelebt, und dafür hat zum Beispiel das Garantiehonorar dicke gereicht. Immateriell gesehen haben mich die Bücher bekannter gemacht, und sie machen sich gut im Lebenslauf.

bv: Ihr drittes Buch, über Belarus, sollte „mit aller Voraussicht bei Suhrkamp/Insel erscheinen„. Stand ist allerdings 2011, und es ist noch nicht erschienen (Stand März 2014). Kommt es noch?

IP: (lacht) Das ist ein wunder Punkt. Ich habe dieses Stipendium (Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung, Anm. d. Red.) bekommen mit der Auflage, dass ich ein Belarus-Buch veröffentliche. Das ist eine Geschichte, die mich sehr bedrückt. Das Buch verändert sich, die Idee vom Buch verändert sich, das Land auch. Ich hab sehr viele Frustrationen beim Schreiben, das geht anderen vielleicht auch so, und diese Frustrationen muss man erstmal hinter sich lassen. Das wird irgendwann kommen, da bin ich sicher. Ich bin grade wieder am Anfang, finde einen neuen Ton und eine neue Form. Für das Geld, das ich mit dem Stipendium bekommen habe, habe ich Essays geschrieben und Reisen gemacht, aber wenn ich das Geld noch hätte, würde ich’s gerne wieder zurückgeben.

Stipendien können zum Bumerang werden

bv: Warum?

IP: Damit ich den Druck nicht mehr habe. Stipendien sind eine gute Sache, können aber gar nicht so selten zum Bumerang werden, denn man setzt sich selbst sehr unter Druck. Und am Ende braucht man nochmal Geld, um sich aus dem Alltag rausnehmen zu können. Man muss sich ja für ein Buch ausprobieren, und dafür braucht man Muße und Zeit und keine Geldsorgen.

bv: Eine vertrackte Situation, die wahrscheinlich alle BuchautorInnen kennen.

IP: Das ist ein vehementes Problem, das sicher viele andere Autoren in dieser Branche betrifft. Die Situation im Printjournalismus wird ja nicht besser. Ich muss so viele Themen und Aufträge generieren, dass mir kaum noch Zeit und Kraft bleibt, um an dieser Langform zu arbeiten.

bv: Sie haben ein breites Themenspektrum, schreiben zu Wirtschaftsthemen, über Osteuropa, über Reisen. Gerade wurde eine Reportage von Ihnen über die Kleinseenplatte in dem Reisemagazin „himmelblau“ veröffentlicht. Wie akquirieren Sie Ihre Aufträge?

IP: Ich arbeite ja nicht erst seit gestern in diesem Job und habe mir ein großes Netzwerk aufgebaut. Ich habe für viele Zeitungen und Zeitschriften mit Rang und Namen im deutschsprachigen Raum gearbeitet. Aber manche brechen weg oder man fällt raus, weil man Probleme mit Redaktionen hat. Die Printwelt unterliegt extremen Dynamiken und Schwankungen. Ich habe deshalb keinen ständigen Kundenstamm. Die Akquise funktioniert auch immer schlechter, der Markt an freien Journalisten ist unübersichtlich groß, und der Raum, in den man reinschreiben kann, wird immer kleiner. Obwohl ich ein ziemlich breites Portfolio habe. „himmelblau“ ist eine Neugründung des Landwirtschaftsverlags in Münster, und ich kenne den Redakteur aus einer früheren Zusammenarbeit. Das war eine sehr glückliche Fügung.

bv: Können Sie abschätzen, wie viel Ihrer Arbeitszeit Sie allein für die Akquise aufwenden?

IP: Nein, nicht wirklich. 80% der Themen schlage ich selbst vor, vielleicht 20% kommen als Aufträge. Das war früher definitiv mehr, hat aber auch mit dem Wandel zu tun, den ich eben beschrieben habe. Ich rotiere die ganze Zeit, suche nach Themen und nach Medien, in die die Themen reinpassen. Das Aufwändige ist das Verkaufen des Artikels. Das geht auch nur noch bei Zeitschriften, bei Zeitungen geht das gar nicht mehr.

bv: Haben Sie ein persönliches Mindesthonorar pro Zeile?

IP: Nein, das habe ich nicht, aber ich schreibe nicht für 25 oder 50 Cent die Zeile. Manchmal liegen mir Themen so am Herzen, dass ich auch für weniger arbeite als sonst. Da guckt man auch schon mal übers Honorar weg. Aber man muss sich auch vor Selbstausbeutung schützen. Wenn man keinen realistischen Blick hat, kann man sich direkt in den Sarg legen.

Man muss sich vor Selbstausbeutung schützen

bv: Manche Leute haben den Eindruck, um in überregionale Zeitungen wie die Süddeutsche oder die FAZ zu kommen, müssen man ein Mann und über 50 sein. Sie sind ein Mann, aber noch weit entfernt von der 50. Wie haben Sie den Einstieg geschafft?

IP: (lacht) Ich war in Neuseeland und habe in Cafés und auf dem Bau gearbeitet, wollte Abstand vom Journalismus gewinnen. Aber dann fand der America´s Cup in Neuseeland statt, und ich habe einfach mal der Sportredaktion der Süddeutschen angeboten, darüber zu berichten. Das hat geklappt. Damals war es sicher noch einfacher, da reinzukommen. Man braucht auch Glück, und Kontakte helfen immer. Aber man muss erst mal anfangen, solche Netzwerke aufzubauen. Dafür braucht man sehr viel Energie, Zeit, Geduld und Hartnäckigkeit. Wenn man das wirklich will, dann schafft man das auch. Vorausgesetzt, das Handwerk stimmt.

bv: Schreiben Sie immer exklusiv oder leben Sie von der Mehrfachverwertung?

IP: Ich produziere nur für bestimmte Medien. Wenn ich mit meinen speziellen Themen für nationale Zeitungen schreibe, kann ich das nicht mehrfach verwerten. Was ins Hamburger Abendblatt passt, geht nicht für die FAZ. Wenn man für die FAZ schreibt, verlangt das eine gewisse Exklusivität, auch wenn sie, vorsichtig gesagt, diese Exklusivität nicht bezahlt. Aber das sind Spielregeln, an die man sich halten muss. Es kommt ganz, ganz selten vor, dass ich einen Artikel ein zweites Mal verkaufe. Aber der Aufwand für die Zweitverwertung ist so groß, dass man sich das dreimal überlegt.

bv: 2006 wurde Ihnen die Einreise nach Belarus verweigert. Wer übernimmt in so einem Fall das finanzielle Risiko?

IP: Ich. Belarus war immer ein teures Hobby. Belarus liegt mir wirklich am Herzen, und ich bin über Belarus zum Journalismus gekommen. Ich war dort während meines Studiums unterwegs und fand, man müsse darüber schreiben. Aber selbst von den Honoraren der großen nationalen Tageszeitungen kann man so etwas nicht finanzieren. Das muss man dann über besser bezahlte Reiseartikel für andere Zeitschriften querfinanzieren. Jetzt, in Krisenzeiten, ist es leichter als wenn es wenig Berichtenswertes in einem Land gibt. Da muss man gut verhandeln und versuchen, dass sich mehrere Medien unterschiedlich an den Spesen beteiligen. Aber selbst da werden sie kaum auf einen grünen Zweig kommen.

Umgangsformen haben sich sehr verschlechtert

bv: Wie sieht denn Ihr Arbeitsalltag aus?

IP: Man kann mal von einzelnen größeren Sachen leben, manchmal nur von vielen kleineren. Ich recherchiere ständig Themen. Manche Tage schreibe ich nur E-Mails, aber man bekommt einfach keine Antworten mehr, selbst wenn man sich Mühe mit den Exposés gibt und die Redakteure kennt. Auf zehn E-Mails bekomme ich höchstens eine Antwort. Die Redakteure stehen immer mehr unter Zeit-, Personal- und Produktionsdruck. Nach meinem Eindruck gibt es nur noch wenige, die das Ganze mit einem gewissen Respekt, Höflichkeit und Anstand betreiben. Es sind Umgangsformen unterwegs in den Redaktionen, die mir definitiv auf den Keks gehen. Das hat sich sehr verschlechtert in den letzten Jahren.

bv: Sie rezensieren auch selbst Bücher, zuletzt „Reise ins Land der Lager“ von Julius Margolin für die FAZ und „Im Stein“ von Clemens Meyer für den FLUTER. Und sie besprechen politische Literatur für den Deutschlandfunk. Werden Rezensionen heute überhaupt noch bezahlt? Wenn ja, rentiert sich das?

IP: (lacht) Ich mag einfach Bücher. Ich bezeichne mich auch nicht als Literaturkritiker, aber Kultur ist einer meiner Schwerpunkte neben Belarus. Aber man kann nicht davon leben. Der Deutschlandfunk zahlt allerdings gut. Ein paar Besprechungen mache ich aus Interesse und weil sie in der Masse interessant sind. Man darf nur nicht überlegen, wie lange man fürs Lesen braucht. Man muss sich aber auch mal den romantischen Blick gönnen, sonst müsste man aufhören zu schreiben.

bv: Sie geben auch Interviews, Kommentare und werden zu belarussischen Themen zu Podiumsdiskussionen geholt, zuletzt bei der Leipziger Buchmesse. Wird Ihnen das bezahlt?

IP: Ich sage immer, ich bin freier Autor, ich habe keine Institution im Rücken. Man trägt ja auch was rein, was man sich über viele Jahre erarbeitet hat. Das ist ein Produkt, das bezahlt werden muss. Für Interviews oder Gespräche gibt es ein kleines Honorar, und sie müssen mir die Fahrt bezahlen, damit ich kein ganz schlechtes Gefühl habe. Auch auf der Leipziger Buchmesse haben sie ein kleines Honorar bezahlt.

bv: Sie schreiben über sehr unterschiedliche Themen für sehr unterschiedliche Medien. Wie kommt diese Mischung zustande?

IP: Ich bin ein ziemlich neugieriger Mensch, bin relativ offen, was Themen angeht. Ich muss nur einen Weg finden, das Thema interessant übersetzen zu können. Dann suche ich mir das entsprechende Medium. Das können Kultur-, Reise- oder Wirtschaftsthemen sein. Ich bin auch ziemlich umtriebig. Immer wieder den gleichen Käse zu schreiben, würde mich langweilen.

Wenn man Strukturen gerecht werden muss, sind Fehler unvermeidlich

bv: Aber Sie müssen sich dann immer wieder neu einarbeiten in das Thema, was oft viel Zeit kostet. Haben Sie diese Zeit?

IP: Dafür ist Lokaljournalismus die beste Schule. Und die Grundvoraussetzung, wenn man vom Schreiben leben will, ist schnelles Schreiben. Qualität entsteht zwar nur, wenn man Zeit hat, aber man muss auch pragmatisch sein und lernen, in relativ kurzer Zeit Qualität zu bringen.

bv: Der niederländische Journalist Joris Luyendijk beschreibt in seinem Buch „Wie im echten Leben von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges„, dass viele AuslandskorrespondentInnen für mehrere Länder gleichzeitig zuständig sind, und sich im Grunde gar nicht mit jedem Land wirklich auskennen können. Er wurde z. B. für einige Zeit nach Kairo geschickt, musste dann aber über Palästina berichten, dessen Konflikte, Zustände, Lebensweisen er überhaupt nicht kannte. Wie seriös kann dann so ein schnelles Einarbeiten-Müssen in jedes Thema sein?

IP: Man muss sich zwar schnell einarbeiten können, das ist das Fundament dieser Arbeit. Eine gute, faire Einschätzung vor Ort ist ein Anspruch, den man als guter Journalist haben muss. Aber wenn man wie Luyendijk den Strukturen des Arbeitgebers gerecht werden muss, ist es unvermeidlich, dass man Fehler macht. Viele Korrespondenten sitzen in Moskau und müssen jetzt über die Ukraine berichten. Unterwegs zu sein, reicht natürlich nicht. Man guckt ja nicht nur hin und schreibt das auf. Man muss Bücher und Geschichtsbücher gelesen haben, ein Verständnis für politische Analysen, dazu aber auch unterschiedliche politische Interessensgruppen und gesellschaftliche Dynamiken kennen.

bv: Was aber aufgrund der heutigen Arbeitsstrukturen kaum noch möglich ist?

IP: In den 80er Jahren war das noch einfach. Da waren wir die einzigen Weltenerklärer. Die Leute haben uns gelesen, zugehört und uns ab und zu was Kritisches geschrieben. Durch das Internet wird heute ein riesiger Druck auf Korrespondenten aufgebaut, manchmal berechtigt, manchmal unberechtigt. Es gibt so viele Experten für so viele Themen. Der Druck ist dadurch immens. Das Problem ist, dass Medien immer weniger Geld für Personal und guten Journalismus ausgeben. So kann das nicht funktionieren.

bv: Wie wirkt sich das auf Sie aus?

IP: Ich sehe mit Sorge, dass die Qualität nachlässt, und dass Meinungsmacher und tendenziöse Berichterstattung zunehmen. Das nimmt mir den Spaß. Ich hänge an meinem Beruf, aber die Bedingungen sind manchmal so abstoßend, dass ich das Gefühl habe, ich will da raus. Man kann zwar versuchen, sich in seiner Nische dagegen zu stämmen, aber manchmal wird man davon erdrückt. Selbst Qualitätsmedien haben, so scheint es mir manchmal, den Glauben an sich selbst verloren.

Interessantes Thema, gut aufbereitet in interessanter Sprache – sonst funktioniert das nicht

bv: Sie arbeiten ja schwerpunktmäßig in einer Nische: Belarus, und dann auch noch belarussische Kultur. Wie schwer ist es, ein solches Nischenthema in deutschsprachigen Medien unterzubringen? Bei 9,5 Millionen Einwohnern, einem Diktator, dem Geburtsort Marc Chagalls, aber einem für Touristen bislang ansonsten weniger interessanten Land stelle ich mir das eher schwierig vor.

IP: (lacht) Man braucht eine gewisse Leidensfähigkeit. Wer nicht bereit ist, viel zu investieren, kann es gleich sein lassen. Realistisch betrachtet muss man Opfer bringen. Es dauert, man muss es immer wieder probieren und muss gute Arbeit machen. Da kann man keine 08/15-Artikel verkaufen. Es muss ein interessantes Thema sein, gut aufbereitet in interessanter Sprache, sonst funktioniert das nicht.

bv: Können Sie allein von belarussischen Themen leben?

IP: Nein, ich mache auch Sachen, die mir nicht am Herzen liegen, aber gut bezahlt werden. Aber jeder braucht was, was ihm am Herzen liegt, sonst wird man zum Zombie. Man muss sich immer wieder selbst hinterfragen: ist man mit diesem Medium glücklich? Mit dem Beruf zufrieden? Mit der Perspektive? Kann man eine Familie davon ernähren? Was will man damit? Ist man bereit, den Anspruch an sich selbst runterzudrücken? Wo ist da die Grenze?

bv: Haben Sie Ihre Grenze für sich geklärt?

IP: (lacht) Nee. Aber ich weiß, welche Sachen ich mache und welche nicht.

bv: Und können Sie von Ihrer Arbeit eine Familie ernähren?

IP: Wenn wir ein Kind hätten – nein, das würde schwierig. Da müsste meine Frau auch mit ran.

bv: ZEIT Online hat sich vor kurzem ganz öffentlich via Twitter ihres freien Journalisten Moritz Gathmann entledigt. Der Blogger Stefan Niggemeier kritisierte das Vorgehen. Sie haben selbst auch schon für ZEIT Online geschrieben und kommentierten bei Niggemeier: „Wer journalistische Unabhängigkeit und hochwertige Arbeit langfristig sichern will, muss dies durch entsprechende Honorare und die Zahlung von angemessenen Spesen unterstreichen und unterstützen.“ Ist das nur an die ZEIT Online gerichtet oder ist die Situation generell so?

IP: Das ist eine allgemeine Kritik. Wer Qualität produzieren will, muss die bezahlen und auch den freien Journalisten die Möglichkeit geben, sich eine Perspektive zu schaffen. Nur so bekommt ein Journalist die Motivation, sich weiter ins Thema reinzuhängen.

Man findet auf Facebook schnell Leute für eine Recherche

bv: Sie schreiben auch Corporate und PR-Texte, z. B. für Credit Suisse oder Siemens. Weil die besser bezahlt werden?

IP: Die werden sehr gut bezahlt, so wie Qualitätsmedien ihre Journalisten bezahlen sollten. Zudem machen sie sehr anspruchsvolle Zeitschriften. Die Artikel werden also optisch auch entsprechend präsentiert. Für mich ist das eine Form von Querfinanzierung. So kann ich mir Belarus-Reisen oder idealistische Geschichten wie die Organisation belarussischer Konzerte oder andere zivilgesellschaftliche Arbeit finanzieren. Ich könnte das aber nicht auf Dauer machen. Man wird nur als ernsthafter Journalist wahrgenommen, wenn man für ernsthafte Medien schreibt. Man will ja auch in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werden.

bv: Spielt Social Media bei Ihnen überhaupt eine Rolle? In Ihrem FB-Profil teilen Sie ja nur Artikel-Links oder Termine mit.

IP: Ich benutze Facebook vor allem zum Selbstmarketing, und man findet da sehr schnell Leute für eine Recherche. Ich bin aber kein Multimedia-Mann – mir liegt sehr viel am klassischen Geschichten-Aufschreiben.

bv: Sie haben zwei Stipendien und eine Rechercheförderung erhalten. In der belletristischen Literatur haben viele es aufgegeben, sich zu bewerben, weil aufgrund sehr hoher Bewerbungszahlen der Aufwand für die Bewerbungen in keinem Verhältnis zu den Chancen steht, ein Stipendium zu bekommen. Wie ist das für journalistische Stipendien und Förderungen?

IP: Als junger Journalist habe ich mich viel für Preise beworben und sie nicht bekommen. Mit Belarus gewinnen Sie keinen Preis.

bv: Und heute?

IP: Ich weiß es nicht, ich bewerbe mich gar nicht mehr. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass ich überlege, mich vom Journalismus zu verabschieden, weil die Bedingungen nicht leichter werden. Da hat man natürlich keine Lust mehr, sich noch um Stipendien zu kümmern. Aber ich bin auch jemand, der auf seine Unabhängigkeit beharrt, manchmal bis zu einem Punkt, der vielleicht nicht mehr nachvollziehbar ist. Ich bin nicht gern Teil von festen Strukturen, und ich bin nicht gern in einer Bringschuld.

bv: Sie haben Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft in Köln und Wolgograd (ehem. Stalingrad) studiert. Was hat Ihnen das Studium in Hinblick auf Ihren Beruf gebracht?

IP: Erstmal war ja der Wunsch da, osteuropäische Geschichte zu studieren, nicht, Journalist zu werden. Meine Eltern hatten nicht viel Kohle, ich musste schnell einen Beruf ergreifen, und mir war sehr schnell klar, dass ich nicht in die Wissenschaft will. Also habe ich ganz pragmatisch überlegt, was ich machen kann. Ich hatte nie geschrieben, nicht für die Schülerzeitung, nicht für mich selbst, aber ich dachte: Och, geh mal zur Zeitung. (lacht) Im Studium lernt man einen analytischen Blick zu bekommen, analytisch zu denken, was sehr wichtig für den Beruf ist. Wenn man sich dann auf ein Land spezialisiert, sollte man ein tiefgründiges Wissen über Geschichte und Kultur des Landes haben.

Der Kopf schaltet kaum ab – das muss man lieben lernen

bv: Sie haben aber weder Anglistik noch neuseeländische Geschichte studiert und trotzdem über Neuseeland geschrieben.

IP: (lacht) Ich bin jemand, der sich dann reinarbeitet. Ich hatte wenig Ahnung von dem Land, als ich angekommen bin. Aber als Journalist und als Mensch suche ich Reibungsflächen. Ich habe in der Geschichte und der Kultur Neuseelands welche gefunden, die ich hochspannend fand, und in die ich gerne tiefer eingetaucht wäre, aber das interessiert hier keinen. Neuseeland ist zu weit weg, es spielt geostrategisch keine Rolle, die haben einen ganz anderen Einzugsraum. Was ja einer der Gründe dafür ist, warum wir da so sehnsuchtsvoll hinschauen. Man braucht ja ein Sehnsuchtsland, aber man muss da nicht gleich leben. Man muss sich erst mal auseinandersetzen mit so viel Wasser um einen herum, mit der Mentalität, mit so viel Rugby, mit so wenig Respekt für Kultur. Und man muss ein großartiger Naturliebhaber sein, und das bin ich überhaupt nicht.

bv: Von Anfang an haben Sie als freier Journalist gearbeitet, waren nie fest angestellt. Ist die Freiberuflichkeit tatsächlich die ideale Arbeitsform für Sie oder wären Sie lieber fest angestellt?

IP: In ganz schwachen, weinerlichen Momenten wünsche ich mir auch mal eine Festanstellung. Aber für mich ist es die bestmögliche Arbeits- und Lebensform, selbstständig zu arbeiten. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, in der alle angestellt waren. Ich musste die Selbstständigkeit erst für mich entdecken, ohne zu wissen, was das bedeutet: der Umgang mit der Freiheit, die manchmal auch keine ist, den Tag selbst zu strukturieren, die Bürokratie, der Finanzkram, die Akquise, das Management für das eigene kleine Unternehmen. Und der Kopf schaltet ja kaum ab, das muss man lieben lernen. Es gibt Redaktionen und Medien, bei denen ich Lust hätte, in einem guten Team an einer guten Produktion zu arbeiten. Aber das ist unrealistisch. Wenn ich meine Selbstständigkeit erhalten will, muss ich mir was anderes suchen. Denn man kann nicht davon ausgehen, dass man das bis zur Rente machen kann. (lacht) „Er lacht!“ – das können Sie schreiben! Es war schon immer ein schwieriges Brot, und man braucht eine gesunde Mischung aus Romantik, Idealismus, Realismus und Pragmatik. Und man muss überlegen, wie die Lust am Schreiben wieder kommen kann. Man produziert so viel, dass man die Lust verliert.

bv: Ist das vielleicht der große Trick? Dass man das Schreiben nur nebenberuflich machen kann, wenn man es weiter lieben können will?

IP: Ja, vielleicht. Man muss Regeln lernen, da gibt’s kein Rezept für, und es hängt von der eigenen Persönlichkeit und den Bedingungen ab. Das schränkt die Liebe schon ein. Man kann sich die Frustration aber auch einreden, gerade als Freier. Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, dreht sich im Kreis. Aber jeder hat andere Grenzen. Man muss für sich selbst rausfinden, wann’s einem reicht. Man muss sich noch im Spiegel angucken können, und man braucht ein Ding, an das man glaubt. Ich habe in Osteuropa eine gewisse Leidensfähigkeit gelernt, und dem Schicksal zu vertrauen. In Deutschland wird zu viel gejammert und erwartet. Aber man kann sich trotzdem von der Angst vor Altersarmut und der Existenzangst nicht freimachen.

bv: Herzlichen Dank für das Gespräch!


(Zuerst veröffentlicht auf „Schreiben als Beruf“ am 25.03.2014.)

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