
Ernst-Richard Köper war Schauspieler, schrieb Filmdrehbücher, war Autor beim WDR, zwischendurch Handelsvertreter und Möbeleinkäufer in Asien, Pressesprecher eines Sportvereins und Journalist für Sport und Lokales bei der Deister-Leine-Zeitung (DLZ). Mit Ende 50 machte er sich 2011 selbstständig und gründete mit Bettina Richter und Markus Hugo die Agentur Hugo-Köper-Richter sowie das lokale Online-Nachrichtenportal Calenberger Online News (CON) für die Kommunen Barsinghausen, Gehrden, Ronnenberg und Wennigsen. 2013 eröffnete die Agentur ein zweites Portal für andere Kommunen, die Leinetal Online News (L-ON). Wenn L-ON gut anläuft, sind weitere Nachrichtenportale im Raum Hannover geplant.
—–
Birte Vogel (bv): Herr Köper, wie würden Sie den Beruf des Online-Journalisten beschreiben?
Ernst-Richard Köper (KÖP): Im Wesentlichen unterscheidet er sich nicht von der Arbeit eines Nicht-Online-Journalisten. Bestimmte Gesetzmäßigkeiten sind gleich: die Sorgfaltspflicht, die Notwendigkeit zu recherchieren oder den selbstgewählten Auftrag eines Meinungsmachers, Berichterstatters oder Kommentators zu erfüllen. Die Technik setzt aber ganz andere Parameter, zum Beispiel den eines nicht vorhandenen Redaktionsschlusses. Natürlich setzt man sich selbst einen, weil man auch mal irgendwann ins Bett muss. Aber es setzt einen schon unter Druck, denn wir könnten ja immer arbeiten. Wenn um drei Uhr nachts das Telefon geht, weil einem jemand mitteilt: „Da brennt’s.“ oder „Da ist ein Unfall passiert.“, ist es immer verlockend hinzufahren. Oder es macht einem ein schlechtes Gewissen, wenn man es nicht tut.
bv: Wie ist es mit der Leserschaft im Vergleich zum Print?
KÖP: Die Erwartungshaltung der Leser ist anders. Sie wollen kürzere und knappere, vielleicht auch pointiertere Texte lesen. Die klassische Lesegeschichte wird im Internet auf diesen Portalen nicht gesucht. Man kann das ja bei sich selbst beobachten, wenn man liest und denkt: Jetzt hätt‘ ich lieber ein Heft in der Hand.
bv: War es schwierig, sich auf diese Gegebenheiten neu einzustellen?
KÖP: Es gibt noch keine Lehrbuchmeinung zum Online-Journalismus; man hält sich immer nur an der eigenen Einschätzung und der der Kollegen fest. Das macht das Ganze ein bisschen unsicherer. Ich muss mir immer vor Augen führen: Was ist anders? Was wollen die Leser anders haben? Eine Routine hat sich deshalb nach knapp zwei Jahren immer noch nicht richtig eingestellt.
bv: Was fasziniert Sie an der Arbeit für dieses Medium oder was macht Ihnen besonders Spaß?
KÖP: Ich mach die Arbeit ausgesprochen gern. Es sind ganz viele Dinge, neben denen, die mir auch vorher schon in dem Beruf Spaß gemacht haben. Man hat eine gewisse Unmittelbarkeit in der Kontrolle, denn die Reaktion der Leser stellt sich relativ schnell ein, weil das Feedback leicht zu geben ist. Ein spannendes Thema oder ein Aufreger produzieren schnell 30, 40, 50 Reaktionen über unsere Kommentarfunktion, über E-Mail und am häufigsten über Facebook. Es ist ein Vielfaches, vielleicht das Zehnfache dessen, was wir früher bei der DLZ hatten.
Wir machen echten Lokaljournalismus
bv: Ist der Umgang mit diesem Feedback anders als im Print?
KÖP: Der Umgang mit diesem unmittelbaren Feedback ist reizvoll. Es kann aber auch verstörend sein, wenn sich Meinungen häufen, die gar nichts mehr mit unserem demokratischen Selbstverständnis zu tun haben.
bv: Wie gehen Sie als Berichter, aber auch als Portalbetreiber dann damit um?
KÖP: Unserer Überzeugung nach sind die Kommentare in der Summe oft besser als so ein Ausschnitt es wiedergibt. Abgesehen mal davon, beanspruchen wir nicht nur für uns ein weitreichendes Verständnis von Pressefreiheit, sondern auch für unsere Leser ein weitreichendes Verständnis von Meinungsfreiheit. Aber wir schreiten ein, wenn es strafrechtlich relevant wird. Unterhalb der strafrechtlichen Schwelle zensieren wir nicht. Und es hat sich auch bisher immer eine ordentliche Gegenrede entwickelt. Auf eine rechte Tendenz gab es immer eine linke Antwort – das finde ich besser, als wenn man es aus der Welt löscht.
bv: Sehen Sie es als Ihre Aufgabe, dieses Feedback selbst zu kommentieren?
KÖP: Selbst kommentieren wir diese Kommentare grundsätzlich nicht. Das ist nicht immer einfach, wenn die Angriffe persönlich sind. Denn das passiert zum Teil auf beleidigendem Niveau, gerade wenn man ein Fußballspiel anders eingeschätzt hat als der geneigte Leser. (lacht) Wir berichten, aber wir werten nicht. Die Meinungen gehen trotzdem auseinander. Die meisten Menschen tragen die Pressefreiheit wie eine Fackel vor sich her, bis sie ihnen auf die eigenen Füße fällt.
bv: Wie und warum sind Sie Journalist geworden?
KÖP: Ich bin alles in meinem Leben eher per Zufall geworden, weil ich sehr unternehmungslustig und unstet bin. Ich war zuerst an der Film- und Fernsehhochschule München; da spielte der Journalismus schon eine Rolle. Dann spielte er drei Jahrzehnte keine Rolle mehr und ich kam erst wieder über den Umweg des Pressesprecherseins dazu. Bei den Heimatzeitungen bin ich dann in die Sportredaktion gerutscht und habe schließlich im Sport und im Lokalen für die DLZ als Pauschalist geschrieben.
bv: Über welche Themen schreiben Sie heute?
KÖP: Die Ressorts sind bei uns an die Kommunen gebunden. Wir schreiben alle alles, nur in der jeweiligen Gemeinde, betreiben also echten Lokaljournalismus.
Meine Theaterberichte benehmen sich wie Feuilleton
bv: Hat der Lokaljournalismus denn noch Zukunft?
KÖP: Den Lokaljournalismus finde ich eine ganz tolle und vor allem auch sehr notwendige Sache. Das Sterben der Lokalzeitungen kann ich nachvollziehen, denn die betriebswirtschaftliche Seite spielt ja auch eine Rolle. Aber es ist eine Tragödie. Ich habe die Hoffnung, dass Produkte wie unseres nachhaltig an die Stelle treten können. Der betriebswirtschaftliche Zwang der gedruckten Zeitungen lässt sich nicht umkehren. Sie durch eine Zeitung, die ausschließlich von Lesern geschrieben wird, zu ersetzen – das reicht nicht aus. Da fehlt die Qualifikation des Journalisten – die Möglichkeit zu abstrahieren und es entsprechend in Worte kleiden zu können.
bv: Auch wenn Sie jetzt über alles schreiben – haben Sie einen Bereich, ein Thema, über das Sie am liebsten schreiben?
KÖP: Im weitesten Sinne ist das der Bereich Kultur. Meine Konzert- und Theaterberichte unterscheiden sich von denen meiner Kollegen dadurch, dass sie nicht die typischen Artikel einer Lokalberichterstattung sind. Sie benehmen sich immer bisschen wie Feuilleton, die Freiheit nehme ich mir.
bv: Gibt es etwas, über das Sie nie schreiben würden?
KÖP: Als Berichter natürlich nicht. Das Nichtberichten stellt ja schon eine Form von Zensur dar.
bv: Wenn jeder von Ihnen eine ganze Kommune abdeckt, ist dann die Themenauswahl ohne die ordnende Hand der Chefredaktion nicht sehr subjektiv?
KÖP: Natürlich. Auch wenn wir Berichter sind, hören wir ja nicht auf, Subjekte zu sein. Völlig neutral zu berichten, ist ein unmögliches Unterfangen. Schon in der Wortwahl liegt etwas Subjektives und Wertendes. Man muss das einfach als gegeben sehen. Es ist aber schon ein Unterschied, ob man eine Haltung einnimmt oder versucht, so neutral wie möglich zu berichten. Als wir drei unsere Agentur gegründet haben, haben wir uns einen Satz von Hajo Friedrich zum obersten Ziel gemacht: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache. Dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ Das trifft es sehr genau.
Es war immer eine Perspektive da
bv: Sie sind seit zwei Jahren selbstständig, aber gebunden in der UG (Unternehmergesellschaft) mit Bettina Richter und Markus Hugo. Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?
KÖP: Ja, das ist so. Aber ich hab noch nichts in meinem Leben kennengelernt, bei dem es mir nicht genauso gegangen wäre. Mir fehlt immer ein Stück Freiheit. Ich weiß aber nicht, ob ich die erreichen könnte, wenn ich mich in eine Einsiedelei zurückziehen würde. Wenn ich mit anderen etwas tue, ist es natürlich immer mit Unfreiheit verbunden, das liegt in der Natur der Dinge. Es ist nur die Frage, ob es einem auffällt oder nicht.
bv: Wie ist es, solch ein Unternehmen als Kollektiv zu führen?
KÖP: Wir sind drei Generationen: Betti ist Mitte 40, Markus Mitte 30, ich bin 60. Das ist ein außerordentlich spannender Prozess, und ich finde, uns ist das gut gelungen, und wir können stolz darauf sein. Es lief aber nicht immer reibungsfrei; das würde mich auch misstrauisch machen. (lacht) Und es gab schon Momente, wo wir alle mal aufhören wollten.
bv: Und was hat Sie gehalten?
KÖP: Mich hält die Perspektive. Nach allem, was wir auch an Schwierigkeiten in den zwei Jahren erlebt haben, war die Perspektive immer da. Immer ging ein Bereich nach oben, mal das Konto, mal die Leserzahlen, mal kam Zuspruch von jemandem, auf dessen Meinung wir Wert legen.
bv: Welche Vorteile hat der Job als Online-Journalist für Sie, im Vergleich bspw. zu Ihrer Zeit als Pauschalist bei der DLZ?
KÖP: Ich habe mehr Freiheit. Innerhalb dieses Kollektivs bin ich vollkommen mein eigener Herr. Gegebenenfalls muss ich meine Position durchsetzen oder sie davon überzeugen, und ich muss damit leben, dass das nicht in allen Fällen gelingt. Aber wenn man das als Führungsprinzip akzeptiert hat, ist es relativ einfach. Uns konnte nichts besseres passieren als immer diese 2:1-Mehrheit zu haben. Deshalb akzeptiere ich es auch, wenn ich mal der Eine bin.
bv: Welche Nachteile hat der Job?
KÖP: Der Nachteil liegt in der relativen sozialen Unsicherheit. Ich bin nicht im klassischen Alter eines Existenzgründers, aber ich bin Veränderungen eigentlich gewöhnt. Ich bin früh ein paar Jahre in festen Anstellungsverhältnissen am Theater gewesen, aber danach war ich immer selbstständig und Freiberufler. Da wird man versaut für feste und ordentliche Anstellungsverhältnisse.
12 Stunden werden es immer
bv: Gibt es sonst keine Schwierigkeiten oder Herausforderungen?
KÖP: Einen komplexen Sachverhalt verständlich, einfach und halbwegs kurz darzustellen, ist eine immerwährende Herausforderung. Und das Ganze dann auch noch spannend zu machen. Jetzt gerade haben wir Saure-Gurken-Zeit und besuchen ungefähr die 25. Ferienpass-Aktion. Der nun einen Aspekt abzugewinnen, der sie für den ein oder anderen lesenswert macht, ist auch eine interessante Aufgabe. Wobei mir Zeiten, wo mehr los ist, besser gefallen als der Hochsommer.
bv: Welche Arbeitszeiten haben Sie?
KÖP: Das Schöne ist, dass wir die an unseren eigenen Rhythmen ausrichten können. Mein Arbeitstag beginnt in der Regel um sechs Uhr morgens. Dafür nehme ich mir die Freiheit, früher aufzuhören. 20 Uhr wird’s allerdings immer. Aber unser Tagesrhythmus orientiert sich auch sehr stark an der Nachrichtenlage und der Terminsituation. Auf einen 12-Stunden-Tag kommen wir mehr oder weniger immer. Aber das sind nicht 12 durchgeknüppelte Stunden. Manchmal kann ich mir vier Stunden Auszeit gönnen und mit meiner Frau nach Hannover fahren oder etwas anderes tun.
bv: Sie haben alle drei Ihr Geld in die UG gesteckt. Sind Sie nach zwei Jahren so weit, dass Sie sich selbst normale Gehälter zahlen können?
KÖP: Ja, in bescheidenem Umfang. Wir zahlen uns diese Honorare auch schon länger, aber an der unteren Grenze. Die Honorare von Kollegen bei großen Verlagen sind vielleicht höher, werden aber im Halbjahresrhythmus beschnitten. Bei uns stimmt wenigstens die Richtung. Man muss sich ja nur die Anzahl unserer Anzeigen anschauen: unsere Umsätze wachsen. Die Kosten wachsen zwar auch, aber nicht parallel zu den Umsätzen.
bv: Viele Leute finden Anzeigen auf Internetportalen sehr nervig. Nun sind sie bei Ihnen allerdings vergleichsweise dezent geschaltet, nicht wie bei anderen Portalen, wo sie den Text alle paar Zeilen unterbrechen.
KÖP: Das haben wir ganz bewusst so gemacht. Aber die Leser müssen sich natürlich darüber im Klaren sein, dass ein kostenloses Angebot kein Angebot ist, das nichts kostet. Wer so etwas in Anspruch nehmen will, muss die Werbung in Kauf nehmen, sonst müssten wir zumachen. Das ist wie in der Lebensmittelindustrie – wenn ich nicht bereit bin, einen bestimmten Preis zu bezahlen, kriege ich eben nur Mist. Und wenn der Preis bei uns ist, Werbung zu ertragen, dann ist das doch gut. Außerdem glaube ich, dass lokale Werbung auch eine Form von lokaler Information ist.
Wir wundern uns, dass es unser Konzept so selten gibt
bv: Sind die Honorare für Ihre freien MitarbeiterInnen denn an den Tarif angepasst oder ebenfalls an der unteren Grenze?
KÖP: Die Tarife kenne ich nicht. Wir haben von Anfang an gesagt: Das, was wir machen, funktioniert völlig anders als Print. Deshalb müssen wir auch bei der Honorarstruktur den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Besonders interessant ist das bei Fotohonoraren. Wir zeigen sehr viele Fotos online. Wenn wir für die einzelnen Fotos Honorare wie bei der Tageszeitung zahlen würden, würde das jeden Rahmen sprengen. Unsere Foto-Honorare beziehen sich daher immer auf die ganze Serie.
bv: Bei Print-Zeitungen ist es immer häufiger so, dass die Zweitverwertung von Artikeln im Internet für die Verlage selbstverständlich ist, aber nicht zusätzlich bezahlt wird. Schreiben Ihre freien MitarbeiterInnen exklusiv für Sie?
KÖP: Die Frage nach einer Zweitverwertung hat uns noch niemand gestellt, aber natürlich dürften die Freien ihre Texte auch zweitverwerten, nachdem sie bei uns erschienen sind. Ich glaube, da wird in Zukunft noch eine grundlegende Auseinandersetzung stattfinden müssen, weil das Thema Urheberrecht durch das Internet völlig neue Dimensionen bekommt. Man denke nur an die Musiker, denen durch illegale Downloads im Internet die Möglichkeit genommen wird, Geld mit ihrer Musik zu verdienen, die aber gleichzeitig im selben Medium, etwa auf Youtube, die Möglichkeit haben, kostenfrei weltweit bekannt zu werden. Ich sehe da keine schnellen Lösungen, sondern eher ganz lange Auseinandersetzungen auf uns zukommen.
bv: Wie hat sich in den zwei Jahren, die Ihr Nachrichtenportal besteht, Ihre Konkurrenz verändert?
KÖP: Ich habe keine großen Veränderungen beobachtet. Wir wundern uns gelegentlich darüber, dass es unser Konzept so relativ selten gibt. Obwohl es ja offensichtlich funktioniert. Wenn es nicht tragfähig wäre, würde ich verstehen, dass es sich nicht dupliziert. Unsere Beobachtung ist die, dass es am Anfang eher Internetpioniere waren und nicht Journalisten, die sich mit Online-Nachrichten beschäftigt haben. Das ist aber das falsche Personal. Denn letztlich ist der Inhalt entscheidend und nicht die Form. Natürlich spielt auch die Form eine Rolle. Wir sind froh, dass uns die Firma Menge Design ein Portal entworfen hat, das sehr genau transportiert, was wir wollen. Das muss schon alles zusammenkommen, aber am Schluss steht im Zentrum der Inhalt.
Der Apparat war zu unbeweglich
bv: Wie ist aus Ihrer Sicht der Trend im Online-Journalismus – nimmt er zu? Oder gibt es zunehmend Nicht-JournalistInnen, die online berichten?
KÖP: Ich glaube, der Bedarf ist da, aber es gibt zu viele Journalisten, die noch nicht bereit sind, dem Bedarf zu folgen. In gewisser Weise wird der Online-Leser ein bisschen alleingelassen. Das Aufgeben von liebgewordenen Privilegien ist natürlich schwierig. Man hat sich in seiner Print-Redaktion eingerichtet, man hat sich arrangiert und sein Leben darauf ausgerichtet. Das wird ja durch den Online-Job alles auf den Kopf gestellt.
bv: Warum haben Sie dann Ihr Pauschalistendasein freiwillig an den Nagel gehängt?
KÖP: Betti Richter und ich haben in der Print-Redaktion lange darüber fantasiert, weil wir dachten, dass wir und die Konkurrenz da was verschlafen. Betti war auf einem Seminar zum Thema Onlinepräsenz, war vollgestopft mit Informationen, durfte aber nichts davon umsetzen. Der Apparat war einfach zu unbeweglich. Man wollte oder konnte bei einem kostenpflichtigen Print-Angebot kein vollwertiges kostenloses Angebot ins Internet stellen.
bv: Haben Sie die Befürchtung, dass die Konkurrenz bald aufwachen wird?
KÖP: Es wäre leichtfertig, zu sagen, wir hätten keine Sorgen deswegen. Wir haben vor jeder Form von Konkurrenz Respekt. Mich beunruhigt ein bisschen die Vorstellung, dass die Großen über ihre Lobbyfähigkeit Rechtsbedingungen herbeiführen, die den Kleinen das Dasein unmöglich machen könnten. Wäre ja nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Das würde mich wirklich aufregen. Wenn sie einfach nur die bessere Idee hätten, könnte ich das aber akzeptieren.
bv: Welchen Stellenwert hat Ihrer Ansicht nach der Online-Journalismus verglichen mit dem Print?
KÖP: In Prozent kann ich es nicht ausdrücken. Die USA gleiten in solchen Entwicklungen ja vor uns her. Große Tageszeitungen werden wegen sinkender Auflagen in Schwierigkeiten geraten. Die Ersten, die es trifft, sind die, die schon andere Schwierigkeiten haben, wie die Frankfurter Rundschau. Aber die anderen wird das auch noch treffen. Wenn schon eine New York Times ins Wackeln gerät (s. hier oder hier, Anm. d. Red.), kommt das ja nicht von ungefähr. Das Angebot spielt da eine entscheidende Rolle.
bv: Ist die Berichterstattung im Netz Ihrer Ansicht nach lukrativer als die Meinungsbildung?
KÖP: Das kann man nicht sagen. Es gibt sicherlich für beides einen Markt. Ich stelle mir vor, dass die konzeptionelle Auseinandersetzung, die dem vorweg gehen muss, bei Meinungsbildung deutlich komplizierter ist, wenn man es ernst nimmt. Es machen sich viel zu viele Menschen mit ihren meinungsbildenden Portalen viel zu leicht. Wir werden gelegentlich auch dazu aufgefordert: dazu müsste man doch mal ein deutliches Wort sprechen. Oder wir werden dazu aufgefordert, etwas weglassen, weil es doch schädlich sei. Aber die das fordern machen sich gar nicht genügend Gedanken über die Konsequenzen. „Der Zweck heiligt niemals die Mittel“ – diese Haltung bedeutet mir grundsätzlich sehr viel.
Man braucht Sitzfleisch, gute Nerven und große Zuneigung zum Lebensumfeld
bv: Welchen Rat würden Sie Leuten geben, die als Online-JournalistInnen arbeiten möchten?
KÖP: Ich kann nur Tipps geben für Leute, die sich damit selbstständig machen wollen. Ich weiß nicht, wie das beispielsweise bei Spiegel Online funktioniert. Was eine kleine Präsenz wie unsere ausmacht, sind es fast schon Allgemeinplätze. Man muss es mit einer möglichst großen Ernsthaftigkeit betreiben, das ist nichts für Spielkinder. Und man muss sich im Klaren sein, ob man dazu bereit ist, auf so etwas wie Urlaub für eine Zeitlang zu verzichten. Aber da geht es uns nicht wesentlich anders als anderen Existenzgründern.
bv: Was sollte man, Ihrer Ansicht nach, unbedingt für diesen Job mitbringen?
KÖP: Bereits vorhandene Finanzen oder die Bereitschaft sich einzuschränken. Es ist eine Frage, welchen Lebensstandard man glaubt, haben zu müssen. Ich bin seit 2010 nicht mehr im Ausland gewesen, weil die Zeit dazu nicht da war. Aber ich hab nicht das Gefühl, dass mir was fehlt. Ich erlebe so viele andere Dinge durch die Arbeit, die das kompensieren. Das wird nicht ewig so sein, aber momentan ist es so.
bv: Was braucht man noch?
KÖP: Für Ratssitzungen braucht man genügend Sitzfleisch, und gute Nerven bei Unfällen und Bränden, aber auch bei schlechter Kunst. Was wir alle mitbringen, ist eine große Zuneigung zu unserem Lebensumfeld hier. Ich lebe hier, und ich lebe hier ausgesprochen gerne. Das muss zum Ausdruck kommen. Wir gehen an alle Themen mit positiver Grundeinstellung und kritischem Blick ran. Sonst hätte davon weder ich noch mein Leser was. Diese positive Grundeinstellung zu unserem Thema merken die Leute, und deshalb werden wir als Portal auch gemocht.
bv: Was sollte man können und mitbringen, wenn man seine eigene Online-Zeitung aufmachen will?
KÖP: Man muss mit CMS, also Content-Management-Systemen, umgehen können, aber das können mittlerweile alle, die in Redaktionen sitzen. Da arbeitet ja auch niemand mehr mit der Schreibmaschine. Eine gewisse Lernbereitschaft muss bei diesen Dingen auch vorhanden sein. Es müssen aber nicht alle alles können. In bestimmten Detailfragen reicht es mir, dass Markus sich auskennt. Ich kann ihn ja fragen. Denn ich muss in meinem Alter nicht mehr jeden intimsten Kniff unseres CMS-Systems kennen. Aber ich achte schon darauf, dass ich nicht abgehängt werde.
bv: War es schwierig für Sie, sich mit Ende 50 noch einmal ganz neu selbstständig zu machen und eine Firma zu gründen?
KÖP: Für mich war das nicht schwierig. Ich bin seit langem darauf trainiert. Meine Fernvision war immer, als „Elder Statesman“ aus dem Fenster schauen zu können und gelegentlich was beizusteuern. Im Moment zeichnet sich das aber nicht ab. (lacht)
bv: Herzlichen Dank für das Gespräch!
(Mehr zu Ernst-Richard Köper, CON und dem Online-Journalismus auch in dem Blog-Artikel „Ist Online-Journalismus die Lösung der Zeitungskrise?“)
(Zuerst veröffentlicht auf „Schreiben als Beruf“ am 30.07.2013.)