
Wolf Kasse arbeitete zunächst als freier Mitarbeiter bei der Deister-Leine-Zeitung (DLZ) in Barsinghausen (bei Hannover), machte anschließend ein Volontariat und wurde am Ende im selben Haus fest angestellt. Bis 2012 hat er als Lokalredakteur bei der DLZ gearbeitet. Die Zeitung machte dann bundesweit Schlagzeilen, als die Verlagsgruppe, der sie angehörte, sie ganz plötzlich und ohne einen erkennbaren Rettungsversuch nach 126 Jahren einstellte. Kasse lehnte ein Job-Angebot der Verlagsgruppe aufgrund der angebotenen Konditionen ab und bereitet nun seine Selbstständigkeit vor. Aktuell schreibt er einen Leitfaden für Pressewarte und plant ein neues lokaljournalistisches Angebot für Barsinghausen.
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Birte Vogel (bv): Herr Kasse, Sie waren 32 Jahre lang bei ein und derselben Zeitung, bis diese 2012 urplötzlich eingestellt wurde. Was kam danach?
Wolf Kasse (WK): Ich habe mein Volontariat 1980/81 bei der DLZ gemacht und anschließend dort durchgehend als Redakteur gearbeitet. Die DLZ war eine Heimatzeitung, die 1885 gegründet worden war und am 29. Februar 2012 sehr überraschend eingestellt wurde. Mir wurde die Übernahme in eine andere Redaktion der Verlagsgruppe angeboten, allerdings außerhalb des Tarifgefüges zu Konditionen, die für mich nicht akzeptabel waren. Deshalb habe ich das Angebot abgelehnt und mich stattdessen für einen Neustart als freier Journalist entschieden. Momentan schreibe ich gerade an einem Leitfaden für Pressewarte und arbeite am Konzept für die Selbstständigkeit.
bv: Nach Ihrer langjährigen Erfahrung – was macht den Beruf der LokalredakteurInnen aus?
WK: Es ist ein unheimlich vielseitiger Beruf. Im Vordergrund steht der Kontakt mit den Menschen, man lernt ständig neue Leute kennen. Dass man es auch mal mit eher unangenehmen Zeitgenossen zu tun bekommt, ist eher die Ausnahme. Aber auch das macht den Lokaljournalismus aus: man geht raus und hat ganz realen, handfesten Kontakt zu den Leuten.
Man merkt dabei schnell, dass man eine große Verantwortung trägt, gerade in einer Kleinstadt. Bei der Unfallberichterstattung zum Beispiel. Da ist ein gewisses Maß an Feingefühl gefragt, schließlich berichtet man ja über Mitbürger. Hier gilt es, zwischen journalistischer Informationspflicht und reißerischem Aufmacher abzuwägen.
bv: Wirkt sich das in einer Stadt wie Barsinghausen nicht auch negativ auf die Berichterstattung aus, wenn jeder jeden kennt?
WK: Ich hab mich von privaten Freundschaften nie beeinflussen lassen. Das geht in diesem Beruf auch nicht anders, wenn man Wert auf die eigene Glaubwürdigkeit legt. Immerhin vertrauen die Leserinnen und Leser auf das Wort des Menschen hinter dem Namenskürzel. Das ist in meinen Augen das höchste Gut, das man als Schreiber erlangen kann.
bv: Was ist denn für Sie das Positive, das Schöne am Lokaljournalismus?
WK: Die Arbeit mit den Menschen. Manche Dinge im Lokaljournalismus werden ja gerne mal belächelt, 100. Geburtstage zum Beispiel. Aber ich habe bei solchen Terminen wirklich interessante Leute kennengelernt, die einen enormen Wissensschatz haben. Das ist schon sehr beeindruckend. Und es ist spannend, wenn sie dich an ihrem Leben teilhaben lassen. Es wird nie langweilig, denn du bist ständig gefordert, musst dich immer wieder auf neue Gegebenheiten, neue Leute einstellen. Allein mit Routine lässt sich keine vernünftige Zeitung machen.
Das Schöne ist auch, dass ich in den ganzen 32 Jahren nicht einmal vor einer verschlossenen Tür gestanden habe. Wenn ich irgendwo geklingelt und gefragt habe, ob ich nur mal für ein Foto aus dem fünften Stock hochkommen darf, dann durfte ich das selbstverständlich. Das war schon gut.
Der Arbeitsdruck geht zu Lasten der eigentlichen Aufgaben
bv: Welche Vorteile hatte es denn, so lange Lokalredakteur bei ein und derselben Zeitung zu sein?
WK: Man kann sich über die Jahre kontinuierlich einen Wissens- und Erfahrungsschatz aufbauen. Da weiß man dann zum Beispiel im Wahlkampf, dass eine Partei noch vor fünf Jahren das Gegenteil von dem behauptet hat, was sie heute kundtut. Das spart eine Menge Recherche.
Wenn man lange am selben Ort ist und die Leute kennt, dann kann man auch mal im Sommerloch jemanden anrufen und nach Geschichten fragen. Nach dem dritten Telefonat hat man meistens was Interessantes. Das ist schwieriger, wenn man dauernd irgendwo neu anfangen muss. Als Freier kann man sagen, dass man keine Geschichte aus dem Thema rausholen konnte. Als Angestellter kann man aber nicht sagen: Die Seiten bleiben heute leer. Deshalb schläft man schon am Vorabend mit der Arbeit ein.
bv: Und welche Nachteile hat der Job?
WK: Der Arbeitsdruck speziell auf die Redakteure ist immens gestiegen. Standen einem früher noch Metteure (Schriftsetzer, die die Satzspalten zu Seiten umbrachen; Anm. d. Red.), Setzer und Fotolaborant zur Seite, wird heute erwartet, dass der Redakteur all diese ehemals eigenständigen Berufsfelder komplett alleine abdeckt. Das geht natürlich zu Lasten des eigentlichen Aufgabenbereiches, nämlich dem Finden von interessanten Themen, der Recherche und dem Schreiben der Geschichten. Das muss man wollen und lieben, sonst ist es nicht durchzuhalten. Schön, wenn man da einen starken Rückhalt in der Familie hat.
bv: Wie viele Stunden pro Woche arbeiteten Sie denn als Lokalredakteur?
WK: Im Schnitt waren es an die 50 Stunden in einer normalen Woche, die Wochenendschichten nicht dazugerechnet. Aber der Begriff „Arbeit“ ist in diesem Beruf nur schwer abzugrenzen. Eine Arbeitszeit von morgens 10 Uhr bis abends 20 Uhr ist normal, denn meistens ist irgendwas, weshalb man doch etwas länger bleiben muss. Und auch zu Hause lässt dich die Arbeit ja nicht los, im Kopf arbeitest du immer schon wieder an der nächsten Ausgabe. Früher hatten wir einen Stehsatz, also immer vier oder fünf vorgeschriebene Geschichten, auf die du zurückgreifen konntest. Wenn mal wirklich nichts anderes da war, hattest du so eine Geschichte zum Füllen. Heute muss alles von gestern Abend oder heute Nacht sein.
bv: Hat Ihnen das die Arbeit verleidet?
WK: Nein, es hat mich gefordert, und die Arbeit ist ja auch spannend. Es ist schon stressig, aber das hat mich nie geschreckt. Sonst wär ich wohl am falschen Platz.
Als Studenten mit BAFöG hatten die jungen Leute wahrscheinlich mehr Geld
bv: Sie sind seit über 30 Jahren in diesem Geschäft. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Gehälter?
WK: Was heute an Haustarifen angeboten wird, ist meist eine Katastrophe. Ich weiß nicht, wie das auf Dauer gehen soll. Die jungen Leute tun mir leid bei den heutigen Konditionen. Sie sollen möglichst studiert oder sogar promoviert haben, aber manchmal denkst du, die haben als Studenten mit BAföG wahrscheinlich mehr Geld zur Verfügung gehabt.
bv: Wird sich daran nochmal was zum Positiven ändern?
WK: Ich denke mal, wenn die Verleger sich auf dieses Level herunter begeben haben, werden sie freiwillig nicht wieder hochgehen. Und solange es Leute gibt, die den Job noch für dieses Geld machen, wird es sehr schwierig für die, die drauf angewiesen sind.
bv: Als Sie vor 32 Jahren anfingen, war das ja noch anders. Wieso wollten Sie damals eigentlich Lokalredakteur werden?
WK: Ich wollte eigentlich immer Anwalt werden und wortreiche Plädoyers halten (lacht). Ein Mitschüler hat damals aber bei der DLZ volontiert. Er fragte, ob ich nicht auch dort anfangen wollte. Ich hab mir das kurz überlegt, bin dann da hingegangen und hab gesagt: „Tach, ich bin Wolf Kasse, und ich will hier Redakteur werden.“ Der Redaktionsleiter war zunächst baff, sagte aber: „Dann probieren wir das mal. Besorgen Sie sich einen Fotoapparat und gehen Sie nächste Woche zum Straßenfest.“ Das war 1980. Ich fing als freier Mitarbeiter an und hab dann ein Volontariat gemacht. Sechs Jahre später war ich selbst schon Lokalredaktionsleiter, das ging sehr schnell. Der Verleger sagte: „Mal gucken, ob dir die Schuhe passen.“ Und sie passten.
bv: Welche Themenfelder lagen Ihnen am meisten?
WK: Mein Steckenpferd war und ist die lokale Wirtschaft und die Politik.
bv: Sie mussten ja von Anfang an auch fotografieren, so wie das auch heute noch im Lokaljournalismus üblich ist. Da gibt es eher selten externe Fotografen. War das schwer für Sie?
WK: Ich habe vorher auch schon fotografiert, das war mir nicht neu. Allerdings habe ich mit einer ganz schlichten kleinen Kamera angefangen. Die Spiegelreflex kam erst später bei der Zeitung dazu. Die Fotografie hat mich vom ersten Tag an fasziniert, ich hatte über Jahre hinweg ein eigenes Farblabor und habe sehr viel experimentiert. Jetzt geht das mit Photoshop und dem Rechner natürlich wesentlich eleganter. Nach mittlerweile mehreren Hunderttausend Fotos in den unmöglichsten Situationen bin ich ziemlich sattelfest, denke ich.
Was mich aber gestört hat, waren diese typischen Fotos: Leute stehen mit einem Scheck in den Händen zusammen und gucken in die Kamera. Ich hab dann immer schon angefangen zu fotografieren, während die sich aufgestellt haben, in dem Moment, kurz bevor sie in die Kamera schauen. Ich finde, gestellte Bilder gehören nicht in die Zeitung. Richtig gute Reportagefotos sind niemals gestellt. Man macht es dann trotzdem, aber es macht einen nicht glücklich. Ich wollte immer einen anderen Blickwinkel haben. Das ist schwierig im Lokalen, aber es geht.
Journalisten sollen keine Pressemitteilungen nachbeten
bv: Hatten Sie den gleichen Ansatz beim Schreiben?
WK: Ich habe immer versucht, den wichtigsten Aspekt rauszubringen. Ich habe die Fakten zwar abgearbeitet, aber immer über einen Punkt ausführlicher geschrieben. Wenn man das für die Leute aufbereitet, ist das besser, als einen Termin nur zu protokollieren. Als Lokaljournalist soll man eigentlich eine eigene Geschichte erzählen, und nicht das nachbeten, was irgendeine Pressemitteilung vorgibt.
bv: Gab es viele Leserbriefe und Reaktionen auf das, was Sie geschrieben haben?
WK: Ja, aber überwiegend positive. Bei manchen Themen gab es viele Diskussionen, zum Beispiel als unter den Hinterlassenschaften des Bergwerks auf der Halde, mitten in der Stadt, Dioxin-Fässer vermutet wurden. Oder als das Freibad geschlossen werden sollte.
Einmal hat mich ein Artikel fast vor Gericht gebracht. Ich fuhr zur Abfahrt des Sportvereins, der mit den Kindern jedes Jahr an die Ostsee fuhr. Ein Routinetermin. Aber dann sagte mir ein Vater, die Reifen des Busses seien total abgefahren. Und das war tatsächlich so, die waren völlig hinüber. Außerdem sollten die Kinder ihr Gepäck in den Fahrgastraum bringen, da im Kofferraum kein Platz mehr war. Die Türen waren fast vollständig mit Gepäck zugestellt. Ich hatte Fotos gemacht und hab groß darüber in der Zeitung berichtet. Das führte zu einer Klage gegen mich wegen Verleumdung. Die wurde aber wegen der Fotos und eidesstattlicher Erklärungen der Eltern abgeschmettert.
bv: Gibt es Dinge, über die Sie nie schreiben würden?
WK: Wenn ich oder meine Familie nicht grad selbst betroffen wären, wüsste ich nichts. Was mir schwer gefallen ist, waren Dinge, über die ich noch nicht berichten durfte. Einmal machte mich ein Bekannter auf einen Kinderschänder aufmerksam. Er hatte das genau recherchiert, hatte sogar Tonbandaufnahmen mit Beweisen. Wir gingen damit zur Polizei, aber ich durfte nicht darüber berichten, bis die Polizei diesen Mann mit einem SEK (Sondereinsatzkommando, Anm. d. Red.) dingfest gemacht hatte. Es fiel mir sehr schwer, nicht vorher schon darüber zu schreiben, denn ich wusste ja, zu dem gingen immer noch Jugendliche hin.
bv: Worüber oder was würden Sie in Zukunft am liebsten mal schreiben?
WK: Gute Frage (denkt lange nach). Der Job war sehr zeitaufwändig, und meine Frau und ich sind deshalb wenig gereist. Das würde ich heute gerne nachholen und dann auch darüber schreiben. Afrika ist mein absoluter Traum.
70% der Zeit verbringst du nicht mehr mit Schreiben
bv: Warum?
WK: Ich weiß gar nicht woher das kommt. Der Kontinent ist so unglaublich vielfältig und hat mich schon als Kind fasziniert. Und natürlich die Route 66, obwohl ich gar kein Motorrad fahre. (lacht) (Die Route 66 ist eine beliebte Motorradstrecke quer durch die USA. Anm. d. Red.)
bv: Sie waren 32 Jahre lang fest angestellt. Kam mit der Routine nicht auch irgendwann die Langeweile?
WK: Überhaupt nicht, nie. In der Zeit hat sich ein unglaublicher Wandel vollzogen. Da hatte man gar keine Zeit für Langeweile. Am Anfang hatten wir Manuskriptpapier, eine Schreibmaschine und eine Box-Kamera. Dann haben wir alle paar Jahre neue Systeme bekommen. Ganze Berufszweige sind weggefallen, und wir mussten deren Arbeit mitmachen. Früher habe ich auf der Schreibmaschine meine Zeilen runtergehauen, alles andere haben Fachleute gemacht, gesetzt, geklebt, korrekturgelesen. In der ganzen Zeit war ich schon wieder an einer neuen Geschichte dran. Damals haben wir nur Content rangeschafft und waren auf der Straße unterwegs.
Heute sind 70% dieser Arbeit auf der Strecke geblieben. Diese Zeit verbringst du eben nicht mit Schreiben von interessanten Geschichten, sondern mit Technik, die dir aufgebürdet wurde, weil man meinte, dass man da sparen kann, um den Profit zu maximieren. Aber die Frage ist doch: Ist das sinnvoll? Ist das noch Redakteursarbeit? Wenn da nicht mehr Stellen geschaffen werden, leidet die Redaktionsarbeit, und die Leute gehen daran kaputt. Und dir entgehen die guten Geschichten.
bv: Können Sie ein Beispiel nennen?
WK: Ratssitzungen gehen ja mitunter bis 23 Uhr oder Mitternacht. Aber wenn du um halb elf Redaktionsschluss hast, dann haust du schnell was rein, Ergebnisberichterstattung, aber keine Erläuterung, keine Erklärung, weil Du keine Zeit hattest, das zu reflektieren. Früher ist man mit den Ratsmitgliedern nach der Sitzung in die Kneipe gegangen, weil sie da erst die wirklich interessanten Geschichten erzählt haben. Da hast du wesentlich mehr erfahren als auf der Sitzung, und du konntest am nächsten Tag viel interessantere Geschichten schreiben.
Heute verschwendest Du auch Zeit damit, die Bilder runterzuladen. Früher habe ich die Kamera in der Dunkelkammer abgegeben, kurz auf den Negativstreifen geschaut, ein Foto ausgesucht, und den Rest hat der Fotograf gemacht. Und ich hab weiter schreiben können.
bv: Gibt es diese „alte“ Art der Berichterstattung denn überhaupt noch irgendwo?
WK: Leider sieht es so aus, als würde sich der Markt immer mehr auf die großen Zeitungen konzentrieren, während so kleine Zeitungen wie die DLZ dicht gemacht werden.
Müssen die Renditen einer Zeitung unbedingt so hoch sein?
bv: Warum werden sie denn überhaupt geschlossen? Es betrifft ja nicht nur so kleine Zeitungen wie die DLZ mit ihren zuletzt rund 4.500 AbonnentInnen, sondern auch eine überregionale Zeitung wie die Frankfurter Rundschau.
WK: Ja, warum brechen denn die Abonnenten und Werbekunden weg? Wenn man keinen eigenen Mantelteil mehr hat, sondern ihn billiger irgendwo einkauft, wenn es auch keine richtige Regionalberichterstattung mehr gibt und der Lokalteil immer stärker ausgedünnt wird, dann entfernt man sich weiter und weiter vom Leser. Auf Dauer geht das nicht gut.
Aber man sollte sich vielleicht auch mal fragen, ob die Gewinnmargen, die Renditen bei einem Projekt wie einer Zeitung unbedingt so hoch sein müssen. Wenn da etwas mehr Bescheidenheit reinkommen würde, wäre schon viel gewonnen. Und auf der Ausgabenseite sollte man sich vielleicht mal überlegen, ob beispielsweise eine Controlling-Abteilung um ein vielfaches größer sein muss als die produzierenden Abteilungen, die sie „controllen“ soll.
bv: Ich ahne die Antwort, stelle die Frage dennoch: Was halten Sie von der Entwicklung, freien JournalistInnen nicht nur weniger Geld zu zahlen, sondern für das immer weniger werdende Geld immer mehr abzuknöpfen, z. B. sämtliche Verwertungsrechte?
WK: Natürlich überhaupt nichts, das geht gar nicht. Ich halte aber auch nichts davon, fest angestellte Redakteure in dieser Form auszubeuten. Wenn ein Artikel noch fürs Internet umgeschrieben werden soll und dann noch etwas lockerer für Facebook, dann müsste das auch gesondert honoriert werden.
bv: Kann denn eine Mitgliedschaft in einer der Gewerkschaften, ver.di, DJV oder Freischreiber, etwas daran ändern?
WK: Ich bin von Anfang an in der Gewerkschaft gewesen. Und das hat sich zum Schluss dann auch ausgezahlt. Leider wird es wenig nutzen, wenn sich die Arbeitgeber scharenweise aus dem Tarifgefüge verabschieden.
bv: Welchen Stellenwert hat heute, Ihrer Ansicht nach, der Lokaljournalismus im Internet?
WK: Es gibt mittlerweile Leute, die sich online extrem aufs Lokale konzentrieren, mit allem, was geht. Manche Konzepte funktionieren richtig gut. Bei vielen kann ich mir aber kaum vorstellen, dass sie wirklich Geld abwerfen. Der Online-Journalismus wird zwangsweise die Zukunft werden, weil ich in der Verlegerschaft nicht wirklich das Engagement sehe, die kleinen Zeitungen dauerhaft am Leben zu erhalten.
Es ist ein toller Beruf – aber man muss das wirklich wollen
bv: Wird es denn die LeserInnen dafür geben?
WK: Ich hab mir selbst grad ein Tablet gekauft, nach langen Überlegungen. In spätestens zwei Generationen wird das Standard sein. Praktisch ist es ja. Und mit der fortschreitenden Technik kann man auch gut darauf lesen. Wenn man zwar nicht mehr das Haptische hat, aber wenigstens optisch umblättern kann, wenn man komfortabler damit umgehen kann, eine vernünftige Suchfunktion hat, möglichst auch Archivfunktionen, dann wird es ganz sicher Leser dafür geben.
bv: Was würden Sie Leuten raten, die ganz neu oder quer in den Lokaljournalismus einsteigen möchten?
WK: Ich denke nach wie vor, dass das ein toller Beruf ist. Man sollte seine Erwartungen nicht zu hoch schrauben und schauen, ob man wirklich damit und davon leben kann. Hier in unserer Gegend ist die Zeitungslandschaft arg eingeschränkt, in anderen Ecken der Republik sieht es etwas besser aus. Man muss das wirklich wollen. Man sollte aber vielleicht nicht zu früh einsteigen, sondern erst eine vernünftige Ausbildung machen oder ein Studium absolvieren.
bv: Was sollte man, Ihrer Ansicht nach, unbedingt für diesen Job mitbringen?
WK: Das Offensichtliche natürlich: eine vernünftige Ausdrucksweise, ein Gespür für die Sprache. Man muss allen Menschen gegenüber offen sein. Und man muss sich vor eine Bühne stellen und Fotos machen können, auch wenn man weiß, dass einen hunderte von Zuschauern dabei genau beobachten. Soll heißen, ein gewisses Maß an Selbstvertrauen sollte man mitbringen. Ganz wichtig ist auch, dass man zuhören kann.
bv: Wäre es denn besser, sich auf ein bestimmtes Fachgebiet zu spezialisieren oder sind GeneralistInnen besser dran?
WK: Wenn jemand spezielle Interessen oder eine spezielle Ausbildung hat, dann würde ich raten, dass man mit einem verkürzten Volontariat im Lokalen anfängt und sich erst dann spezialisiert. Im Lokalen lernt man das Handwerk, da bekommt man die Grundlage, um sich spezialisieren zu können.
bv: Wie sehen jetzt Ihre Pläne für die Zukunft aus? Sie sagten, Sie schreiben einen Ratgeber für Pressewarte und bereiten Ihre Selbstständigkeit vor. Wieder im Lokalen?
WK: Ja, in diese Richtung geht es. Es gibt unheimlich viele Menschen, die ihre DLZ schmerzlich vermissen. Ich arbeite daran, diesen Schmerz zu lindern. Mehr wird an dieser Stelle aber noch nicht verraten.
bv: Herzlichen Dank für das Gespräch!
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(Nachtrag: Seit heute, Freitag, dem 29.11.2013, dürfte die Zeit des Schmerzes in Barsinghausen vorüber sein, denn Wolf Kasse hat soeben das erste „DeisterJournal“ herausgebracht.)
(Zuerst veröffentlicht auf „Schreiben als Beruf“ am 08.10.2013.)